Am Dreifaltigkeitssonntag des Jahres 1980 feierte die katholische Pfarrgemeinde St. Gereon in Vettweiß das dreihundertjährige Bestehen der Dreifaltigkeitskapelle. Da inzwischen über dreißig Jahre ins Land gezogen sind, habe ich meine damaligen Ausführungen zur Dreifaltigkeitskapelle überarbeitet und dabei neu gewonnene Erkenntnisse berücksichtigt.
Nachdem die in den Kriegswirren und Kampfhandlungen unversehrt gebliebene alte Vettweißer Kirche, deren Turm einer romanischen Anlage aus dem 11. Jahrhundert entstammte, im Frühjahr des Jahres 1945 von amerikanischen Truppen gesprengt wurde, um den Schutt zum Bau eines Militärflugplatzes der U.S. Airforce, von den Amerikanern mit Airfield Kelz Y-54 bezeichnet, zu verwenden, ist die in der Unkelmaar gelegene Dreifaltigkeitskapelle der einzige noch vorhandene Sakralbau, der an die lange Geschichte des Dorfes Vettweiß erinnert.
Die Kapelle ist in ihrer ursprünglichen Form erhalten. Sie besteht aus einem achteckig verputzten Ziegelsteinbau mit einem Schieferfaltdach und ist gekrönt mit einem achtseitigen Helm. Die Fenster sowie die Türeinfassung bestehen aus rotem Sandstein.
Sie wurde im Jahre 1680 durch die Eheleute Johan Kurt und Sophia Schleusgens erbaut. Johan Kurt war der Sohn des Derich Kurt, Mönchhalfe zu Vettweiß. Mit seinen Geschwistern Jakob, Georg und Tringen wurde er zwischen 1630 und 1640 auf dem Mönchhof zu Vettweiß geboren. Er heiratete am 03. Januar des Jahres 1667 Sophia Schleusgens aus Düren und erwarb am 10. Januar 1667 die Bürgerrechte der Stadt Düren.
Johan Kurt brachte es in Düren zu Wohlstand, Amt und Würden. Er war Ratsherr und Stadtobrist. Als solcher befehligte er die Stadtmiliz, deren Aufgabe es war, die Stadt gegen innere und äußere Feinde zu schützen.
Die Zeit nach dem Dreißigjährigen Krieg war auch im Dürener Land noch von Unruhen und Kriegswirren bestimmt. Am 13. Oktober 1678 erzwang der Marschall von Luxemburg mit einem französischen Heer die Besetzung der Stadt und quartierte 5 000 Mann ein. Die Franzosen blieben zur Eintreibung der Kriegsentschädigung noch über zehn Monate nach dem am 05.02.1679 abgeschlossenen Frieden zu Nimwegen in Düren. Am 14.12.1679 zogen sie endlich ab.
Aus Freude über ihren Abzug stiftete der Stadtobrist Johann Kurt ein feierliches Votivamt zur Heiligsten Dreifaltigkeit, zur Jungfrau Maria und zum heiligen Apostel Matthias, das jedes Jahr an dessen Altar dargebracht werden sollte.
Aus Freude und Dank über die Beendigung der schrecklichen Kriegszeiten, denen sicherlich auch das Dorf Vettweiß seinen Tribut zahlen musste, errichteten dann die Eheleute Johann Kurt und Sophia Schleusgens im Jahre 1680 die Kapelle in Vettweiß. Sie widmeten das Bauwerk der Allerheiligsten Dreifaltigkeit.
Die Dreifaltigkeitskapelle liegt an einer ehemals bedeutenden Krönungs-, Handels- und Pilgerstraße, nämlich der Aachen-Frankfurter-Heerstraße, im Folgenden auch A.F.H. genannt. Hier kreuzten sich die „Aachener Straße", der „Zülpicher Weg" und der „Prozessionsweg".
Auf der A.F.H. zogen einst die in Frankfurt gewählten deutschen Kaiser nach Aachen zur Krönung. Die Flurbezeichnung „An d'Kollstrooß" erinnert an die Zeit, in der die Holzkohle aus der Eifel sowie die Steinkohle aus dem Raume Eschweiler noch mit Pferdefuhrwerken transportiert wurden.
Gleichfalls diente die A.F.H. den Dorfbewohnern offensichtlich auch als wichtige Verkehrsader. Es fällt auf, dass die A.F.H. von Sievernich bis Düren keinen Ort direkt berührte.
Im Mittelalter entstanden allenthalben an bedeutenden Verkehrsstraßen, so auch an der A.F.H., Gast- und Siechenhäuser zur Aufnahme der kranken und müden Wanderer sowie zur Versorgung der durchreisenden Fuhrleute.
Auch an der Vettweißer Kapelle stand ein solches Gasthaus mit einem landwirtschaftlichen Betrieb. Die Vorfahren der in Vettweiß ansässigen Familien Christoffels haben dort gelebt und bis zum Ende des 19. Jahrhunderts dort auch gewirtschaftet. In guter Tradition werden deshalb von der einheimischen Bevölkerung mehrere Familien Christoffels heute noch als die „Kapelle" bezeichnet.
Man kann die Aachener Straße als diejenige Straße bezeichnen, die im Mittelalter die bedeutendste Verkehrsader des Dürener Raumes in Friedenszeiten und im Krieg war. Die heute noch erhaltenen Kapellen, Kreuze und Bilderstöcke geben Zeugnis von dem einst bewegten Leben auf dieser Straße. Mit der Sicherheit war es auf der A.F.H. nicht gut bestellt. Sie war ähnlich wie die meisten Handelswege des Mittelalters immer lohnendes Ziel von allerlei Gesindel, Räubern und Wegelagern. So entstanden allein auf dem Abschnitt zwischen und Düren und Sinzig insgesamt 39 Burgen, so auch in Kettenheim (1350) und Vettweiß (vor 1370).
Der „Verkehrsknotenpunkt" Dreifaltigkeitskapelle ist sicherlich für die Bevölkerung von Vettweiß immer von besonderer Bedeutung gewesen. Man wanderte dorthin, um von den vorbeiziehenden Reisenden Neuigkeiten aus der großen weiten Welt zu erfahren. Man pilgerte auch zu Kapelle, um dort zu beten.
Durch den Bau und die Inbetriebnahme der Eisenbahnstrecke Euskirchen Düren am 06.10.1864 verlor die Straße völlig an Bedeutung. Die Eisenbahnstrecke Euskirchen – Düren wurde von der Bergisch-Märkischen Eisenbahn - und Betriebsgesellschaft, deren Schwestern die Rheinische Eisenbahn und Köln – Mindener Eisenbahn waren, gebaut. Diese Bahnen gingen später in die preußische Verwaltung über. Nach ersten Planungen sollte die Bahntrasse über Kelz verlaufen. Dies scheiterte jedoch am Einspruch der Bauern, die eine Abwanderung ihrer Arbeitskräfte in die Industrie befürchteten.
Anlässlich der ersten Flurbereinigung zu Ende des 19. Jahrhunderts wurde die A.F.H. dann weitgehend eingeebnet.
Die neben der Kapelle stehenden und noch bewohnten Wirtschaftsgebäude fielen im Jahre 1942 amerikanischen Bomben zum Opfer. Dabei handelte es sich offensichtlich um Notabwürfe, die Kapelle selbst blieb unversehrt.
Die Kapelle steht heute ganz vereinsamt an bedeutungsloser Stelle mitten im Feld. Sie ist Eigentum der katholischen Pfarrgemeinde St. Gereon und wird auch von dieser liebevoll gepflegt. Am Fest der Allerheiligsten Dreifaltigkeit ziehen heute noch Pilger aus Vettweiß und Kelz zur an diesem Tage geöffneten Kapelle.
Offensichtlich wurde die Kapelle auch von Pilgern aus den Gemeinden am Neffelbach aufgesucht. In der nationalsozialistischen Zeit waren die Amtsbürgermeister verpflichtet, dem Landrat in Düren eine „Nachweisung" der innerhalb des jeweiligen Amtsbezirkes althergebrachten Prozessionen und Wallfahrten zu übermitteln. Diese „Nachweisung" enthielt Informationen über die Bezeichnung der Prozession bzw. Wallfahrt, den Veranstalter, Beginn und Ende, Ausgangspunkt, Weg, Ziel, Zweck der Veranstaltung und die Teilnehmerzahl. So ist aus der „Nachweisung" der Amtsverwaltung Nörvenich vom 03.03.1938 zu ersehen, dass am Dreifaltigkeitssonntag eine Pilgergruppe von 25 Personen aus Eggersheim zur Dreifaltigkeitskappelle zog.
Es lässt sich heute nicht mehr genau feststellen, seit wann zur Kapelle gepilgert wird.
In der Kapelle befindet sich ein schönes und wertvolles Altarbild, die Allerheiligste Dreifaltigkeit darstellend. Es wurde von Professor Hubert Salentin gemalt. Salentin wurde am 15.01.1822 in Zülpich geboren und verstarb am 07.07.1910 in Düsseldorf. Er war von Beruf Hufschmied. Diese Tätigkeit übte er 14 Jahre lang aus bevor er 1850 auf die Düsseldorfer Akademie kam, wo Wilhelm von Schadow, Carl Ferdinand Sohn und Adolf Tidemand seine Hauptlehrer waren. Seine zahlreichen Bilder, die sich in mehreren europäischen Museen und in Privatbesitz befinden, zeichnen sich durch korrekte Zeichnung und lichte Farbgebung aus. Aus Gründen der Sicherheit wird das Bild während des Jahres im Pfarrhaus aufbewahrt und lediglich am Dreifaltigkeitssonntag in der Kapelle ausgestellt.
In der Kapelle steht heute noch eine Figur des Heiligen Leonhard. Der heilige Leonhard, Eremit und Stifter des Klosters Noblac bei Limoges in Frankreich, entstammte einem altfränkischen Adelsgeschlecht. Er war in hohem Maße mit der Wundergabe begnadet und starb am 06. November 559. Der heilige Leonhard gehörte zu den am meisten verehrten Heiligen des Mittelalters. Er war hauptsächlich der Viehpatron, dessen Schutz die Pferde anvertraut wurden.
Verschwunden ist die Statue des heiligen Wendelinus. Der heilige Wendelinus soll ein irischer Königssohn gewesen sein, der der Krone entsagte. Er lebte als Einsiedler und Hirte im Bistum Trier und starb dort um 617. Er wurde als Viehpatron verehrt. An seinem Festtag herrschte der Brauch, Prozessionen mit Segnung der Viehherden abzuhalten. Den älteren Vettweißer Bürgern ist durch mündliche Überlieferung noch bekannt, dass am Dreifaltigkeitssonntag an der Kapelle eine kleine Kirmes stattfand, anlässlich derer sich viele Menschen nach dem Gebet zum gemütlichen Beisammen trafen.
Auf dem Altar der Kapelle befanden sich außerdem zwei niederrheinische Barockputten aus dem 17. Jahrhundert. Sie wurden in 1961 zum Kunstwerk des Monats erklärt. In der Dürener Zeitung vom 03.08.1961 werden diese Putten wie folgt sehr detailliert beschrieben:
„ Als Kunstwerk des Monats August präsentiert das Leopold-Hoesch-Museum zwei Altar-Engel aus der Dreifaltigkeits-Kapelle in Vettweiß. Es sind typische Barockputten niederrheinischer Herkunft aus dem Ende des 17. Jahrhunderts. Ihrer Zweckbestimmung sind die beiden kleinen Holzplastiken – ihre Finger wurden weitgehend in Gips restauriert – einander zugewandt mit dem Blick zum Betrachter. Die dichten Locken der Köpfe lassen die Stirn weitgehend frei. Der Mund ist zu einem kleinen Lächeln geöffnet und bringt die Pausbacken noch mehr zur Geltung. Stark gezeichnet sind die Brauen über den weit geöffneten Augen. Das Kinn zeigt, dem Geschmack der Entstehungszeit entsprechend, etwas Fettansatz. Die kleinen Stupsnäschen passen gut zu den Putten Köpfen. In Schwebestellung, mit in den Knien angewinkelten Beinen, sind die beiden Engel mit weiten Umhängen in üppigem Faltenwurf bekleidet. Seitlich werden die Gewänder stark gerafft, durch ein farblich angedeutetes Band gehalten und zeigen in barocker Manier offenherzig die rundlichen, entblößten Arme und Beine und die Brust. Im Faltenwurf ist das Gewand auch über den rechten Arm gelegt, während die Hand den mittleren Teil des Gewandes locker gegen die Brust drückt. Etwas plump wirken die Gliedmaßen, die massigen Unter- und Oberarme und die Beine. Farblich sind die beiden Putten einfach gehalten, die Gewänder blau, die freien Körperteile fleischfarben und die Backen leicht gerötet. Es dürfte sich allerdings wohl nicht mehr um die Originalfarben halten.
Die Bedeutung der beiden Engel als typische rheinische Arbeiten des Barock im ausgehenden 17. Jahrhundert, auch in der kirchlichen Kunst unserer Heimat, wurde von Pfarrer Meurer aus Rölsdorf erkannt, der die Plastiken aus der kleinen Feldkapelle zwischen Vettweiß, Gladbach und Kelz besorgte. Der Altar, den die Engel zierten, steht heute noch in der Kapelle. Allerdings sind die Plastiken schon früher davon entfernt worden. Auch die Dreifaltigkeits-Kapelle selbst entstand wahrscheinlich gegen Ende des 17. Jahrhunderts, so daß die Engel zu ihrer ersten Ausstattung gehören dürften."
Die Putten blieben jahrelang verschwunden. Sämtliche Nachforschungen stießen ins Leere. Die akribischen Nachforschungen unseres Vorstandsmitgliedes Alfons Esser führten schließlich zu einem positiven Ergebnis. Die Putten wurden gefunden und befinden sich nun an sicherer Stelle in der Asservatenkammer der Pfarre.
Um die Kapelle ranken sich auch mehrere Sagen. Erwähnt sei beispielsweise die Sage von den drei „wisse Juffere", die abends auf dem „Sielepättche" erschienen. Sie wandelten auf diesem Pfädchen und gingen dann zur Kapelle, wo sie verschwanden.
In früheren Zeiten wurde die Kapelle auch von drei Pappeln beschattet. Inwieweit die Zahl drei einen Bezugspunkt zur Allerheiligsten Dreifaltigkeit hatte, bleibt jedem Leser selbst überlassen. Der Volksmund berichtet, dass der Besitzer der nebenan liegenden Gastwirtschaft einst eine vierte Pappel pflanzen wollte; allein sie verdorrte. Er pflanzte wiederholt eine neue ein, doch auch diese gingen ein. Nur die drei gediehen und wurden zu stattlichen Bäumen. So entstand der Glaube, dass nur drei Bäume dort stehen dürften.
Dem Leser dieser Zeilen soll durch meine Ausführungen bewusst gemacht werden, welch historisch bedeutendes Bauwerk sich in der Gemarkung Vettweiß befindet. Hieraus ergibt sich für die Kirchengemeinde die moralische Verpflichtung, ihre Kapelle auch in Zukunft weiterhin zu hegen und zu pflegen.
Düren, den 09.02.2015
Dr. Hermann-Josef Courth