Erbsen und Ähze
Zu Beginn dieses Jahres haben wir über die Vettweißer Erbsensuppe geschrieben. Dieser Beitrag hat bei unseren Lesern unerwartet große Resonanz gefunden, daß wir uns entschlossen haben, einen Nachtrag zu diesem Thema zu bringen. Wir wünschen viel Spaß beim Lesen.
Seit jeher gehörte in Vettweiß zu jedem Haus ein Nutzgarten. Er war eine tragende Lebensmittelquelle für die ganze Familie, denn in ihm wurden Kartoffeln und Gemüse gezogen und so die Versorgung für das gesamte Jahr sichergestellt. Selbstverständlich gehörten auch Obstbäume dazu. Ziergärten kannte man nur vereinzelt. Es gab auch keine Supermärkte mit umfangreichen Obst- und Gemüseabteilungen.
Viele Bürger hatten zudem einen Feldgarten. Diese Gärten lagen am Rande des Dorfes und wurden meist für den Anbau von Kartoffeln und Grobgemüse genutzt.
Gartenarbeit war harte nach Feierabend zu erledigende Arbeit, bei der sehr oft die Kinder mithelfen mußten, selten zu deren Freude.

Unter den Männern gab es oft Konkurrenz:
„Wer hat den schönsten Garten und wer hat die besten Erträge“?
Es waren die im Dorf allseits bekannten „Jadejecke“, kein Schimpfwort, sondern eine Ehrenbezeichnung.
So präsentierte „ne Jadejeck“ seine geernteten Kartoffeln, nach Grösse sortiert, nahe seinem Gartenzaun am Ulmenweg, um damit die Leute, die auf das Verkehrsmittel Bahn angewiesen waren, es war nicht gerade die Minderzahl, ins Staunen zu versetzen. Anerkennendes Urteil: „ Ne verdötschte Jadejeck. Der läädt jeden Ovend die gliche Ärpel hen.“
Die Gartenarbeit erfolgte nach einem festen Rhythmus. Der im Herbst umgegrabene und durchgefrorene Garten wartete sehnsüchtig auf die Frühjahrsbestellung. Sie begann im Monat März um die Zeit des Gertruden Tages (Namensfest der Hl. Gertrud, am 17. März)
„Et Dröck dräht de Schöpp en de Jade,“ so der allseits bekannte Spruch zur „Eröffnung“ der jährlichen Gartenarbeit.
Nach einem seit jeher festgelegten Plan wurde das Saatgut in die Erde gelegt. Dabei hatte jede Pflanze ihren eigenen Tag zur Aussaat. Dieser war in alten Bauernregeln festgelegt.
Die Aufzählung dieser Regeln würde den Rahmen der Ausführungen sprengen. Am Beispiel der Erbse in sei lediglich folgendes vermerkt.
„Willst du Gerste, Erbsen, Zwiebeln dick, säe sie an St. Benedikt (21. März).“
„Erbsen säe an St. Ambrosius (4. April) so tragen sie reich und geben gut Mus.“
„Wer gerne Erbsen mag, säe sie am Gründonnerstag.“
Um gute Erträge zu erwirtschaften, durften die einzelnen Pflanzen oder Samenkörner nicht zu eng stehen oder gelegt werden, was oftmals zu heftigen verbalen Auseinandersetzungen zwischen altgedienten „Jadejecken“ und ihren jungen Familienhelfern, die die Gartenarbeit erlernen sollten aber kaum begeistert waren, führte. Nicht selten erklärte der „Fachmann“, dass er alles selber machen wolle. Das war natürlich der Zeitpunkt auf den der „Anlernling“ längst hingearbeitet hatte.

Bauernregel:
„Willst du reichlich Erbsen kriegen, laß ein Schaf dazwischen liegen“.
In den Gärten wurden überwiegend zwei Sorten von Erbsen gezogen, nämlich hellgelbe Straucherbsen (jäl Ähze) und grüne Erbsen (jrön Ähze). Letztere wurden an Erbsenreisern (Ähzeriese) hochgezogen und grün gepflückt und zum unmittelbaren Verzehr verwendet. Dabei wurden Schoten von Hand geöffnet, die grünen Erbsen entnommen (gekivert) und sofort verzehrt.
Frische grüne Erbsen (jrön Ähze), junge Möhren (jong Moore) und dazu ein Braten vom selbst gezogenen Schwein (Brode vom Säuche) für die ganze Familie ein leckeres Sonntagsmahl.
In diesem Zusammenhang zu den grünen Erbsen noch eine Anmerkung zum Schmunzeln:
Nach dem Kriege, die Notkirche auf dem Marktplatz war bereits in Betrieb, hatte sich hoher Besuch angesagt. Der damalige Bischof Johannes Joseph van der Velden kam zur Visitation und Firmung. Großes Problem für den Kirchenvorstand nach einer angemessenen Beköstigung der hohen Geistlichkeit. Schließlich fiel die Wahl auf Eisbein (Hämmsche), Sauerkraut (Suhre Kappes) und Kartoffelpüree (Ädäppelspüree). In einer Diskussionsrunde hatte dieser Vorschlag eine knappe Mehrheit erhalten.
Hochwürden strahlte das Essen an und bemerkte: „Endlich mal keine Erbsen und Möhrchen mit Schweinebraten.“ Offensichtlich wurde er bei seinen zahlreichen Visitationen immer wieder mit diesem Essen bewirtet.
Er war es einfach satt. Erbsen mit Möhrchen und Braten ist ein einladendes Essen. Aber immer und immer wieder? Da sorgt ein Hämmschen doch für köstliche Abwechslung.
Der Kirchenvorstand hatte die richtige Wahl getroffen.
Am meisten wurde jedoch die gelbe Straucherbse (Struuchähze) kultiviert, denn man konnte sie in vielfältiger Weise nutzen. Die gereiften Pflanzen wurden abgeerntet und zum Trocknen aufgehängt. Später wurden sie dann „gekivert“ und auf vielfältige Weise als Grundnahrungsmittel verwendet.
Es gab geschälte und ungeschälte Erbsen als Erbsengemüse, Erbsbrei und Erbsensuppe in der traditionellen Zubereitung mit Speck und Bröckelcher (geröstetes Weißbrot), um einige Zubereitungsarten zu nennen.
Neben Haferbrei und Griesbrei war der Erbsbrei damals das Standartessen des bäuerlichen Frühstücks. Vor Arbeitsbeginn saßen die Knechte und Mägde vor einer großen Schüssel, jeder mit seinem eigenen Löffel bewaffnet, und verzehrten das stärkende Mahl. Dazu gab es selbst gebackenes Schwarzbrot und Schweineschmalz. Butter war zu teuer.
Wenn jemand verstarb, dann hatte er nach dem damaligen Sprachgebrauch „de Löffel affjejeve“. Von älteren Menschen kann man diese Redewendung manchmal noch vernehmen.
Im täglichen Sprachgebrauch hatte die Erbse (Ähz) ihren festen Platz und wurde vielfach verwendet.
Im folgenden seien einige Beispiele, ohne Anspruch auf Vollständigkeit, aufgezählt.
„Dat Esse schmäht wie kale Ähze“. Erbsensuppe mußte sehr heiß serviert werden, kalt war sie kaum genießbar. Diese Redewendung wurde auch auf andere Speisen übertragen.
„Wer Ätze iß, dä kütt an et Kühme.“ Die Erbsensuppe war ein mächtiges Essen. Bei vielen Essern trieb sie den Schweiß auf die Stirn; es kamen Blähungen und Probleme mit dem Darm.

„Ähzebär“ = Erbsenbär
In den Vettweißer Karnevalszügen vor dem zweiten Weltkrieg zog in der Regel noch der Ähzebär mit. Es war ein in Erbsenstroh gehüllter Mann, der von einem Bärenführer an der Leine geführt, und wie ein Tanzbär tanzte. Der Ähzebär sah furchterregend aus; die Kinder hatten Angst vor diesem Ungetüm.
Bisweilen wird auch heute noch ein grimmiger, bärbeißiger Mann als Ähzebär bezeichnet. „Der määt e Jeseech wie ne Ähzebär.“
„Ähzezäller“ = Erbsenzähler
So wird eine allzu genaue, in kleinlicher Weise wirtschaftende Person, ein Kleinigkeitskrämer noch heute bezeichnet.
„ahl Ähze opwärme“ = längst Abgetanes hervorheben
Es gibt Menschen, die ahle Krom immer wieder erzählen und ihre Freude daran haben. Für den Zuhörer ist das meist eine langweilige Strapaze.
„Dat sent ahle Ähze“ das ist eine alte Jacke „Dä ahle Dress wolle mer net mie hüüre“.
So werden längst bekannte, ehemalige Events und Histörchen bezeichnet, die eigentlich nicht mehr interessieren.

„die Ähz“
Im Sprachgebrauch handelt es sich um einen Beinamen für einen kleinen, kugeligen, rundlichen Menschen. Auch in Vettweiß war diese Bezeichnung nicht unbekannt. „Da mosste ens die Ähz froore.“ Dann wußte man Bescheid, wer gemeint war.

„Ähzebalch“ = Erbsenbalch
Mit Ähzebalch wurde die Hülse der ungeschälten Erbsen bezeichnet.
Gleichfalls war dies auch ein Neckname für die Soldaten, zu deren Alltagsessen Hülsenfrüchte, vornehmlich Erbsen gehörten.
„Booßähze“
Von strengen Katholiken wurden Erbsen vereinzelt als Bußerbsen verwendet. Man legte bei Wallfahrten eine oder mehrere Erbsen in seine Schuhe. So wurde die Wallfahrt zu einer zusätzlichen und als Buße gedachten Qual.
Die Vettweißer, pflegten seit jeher den rheinischen Katholizismus, und fanden eine Lösung, welche die Buße erträglich machte. Sie kochten die Erbsen vor Gebrauch ab, die Buße wurde so erträglich.

„dat jeht wie op Ähze“
So nannte man eine Frau, die auf modischen aber für sie unbequemen Schuhen mit kleinen Schritten dahin tippelte und der ihr Unbehagen förmlich am Gesichtsausdruck abzulesen war.

„Heimije Ähz“ = Heimbacher Wallkörner
Dabei handelte es sich um mit Zucker ummantelte Koriandersamen. Sie wurden während der Oktav fein in Tütchen gepackt an die Pilger verkauft. Sie gibt es nicht mehr.
Den Heimijer Ähze wurden früher antidämonische Kräfte zugeschrieben. Deshalb wurden sie auch gekauft. Wo das Wissen aufhört, fängt der Glaube an.
Der Geschäftstüchtigkeit waren keine werbenden Grenzen gesetzt.Hier waren christlicher Glaube und Aberglaube eng verbunden.

„Mariawalder Ähzezupp“ = Mariawalder Erbsensuppe

Für die Vettweißer Heimbachpilger war ein Teller Ähzezupp einfach ein „Muß“. Verlangte die fußläufige Strecke nach Heimbach den Pilgern schon ein gerüttelt Maß an Kondition ab, der Aufstieg, der Kreuzweg hoch nach Mariawald war, wie gesagt, fast eine Verpflichtung.
Und ohne Ähze en de Schoon zog die Ähzezuppverlockung die Pilger quälend hoch zur Abtei. Angekommen gab es kein Halten mehr. „Die Zupp schmaat wie ze Kölle.“
Sie wurde von den Mönchen der Abtei Mariawald nach einem alten Rezept seit jeher gekocht.
Bruder Konrad, der Schaffner der Abtei, war zuständig für Zubereitung dieser nahrhaften Speise. Er setze die Erbsen „en de Weech“ um das Kochen zu beschleunigen. Danach wurden sie püriert und mit speziellen Ingredienzen fertig gestellt. Hierzu gehörte insbesondere Schweinespeck, das fein gekuttert in die Suppe kam und diese gehaltvoll machte.
Zitat von Bruder Konrad, der am 14.12.2023 im Alter von 92 Jahren verstarb:
„Die Leute dürfen nicht merken, daß Speck in der Suppe ist, denn dann essen viele unsere Suppe nicht“
Unzweifelhaft war die Erbsensuppe, nicht nur für Pilger, ein Hochgenuss. Sie ist es auch heute noch. Die Trappisten mussten leider die Abtei wegen „Personalmangel“ und fehlendem Nachwuchs aufgeben, die Erbsensuppe wird jedoch nach wie vor auf traditionelle Weise gekocht und sie ist unverändert der Renner.
In der heutigen Zeit ist das Thema um das Gemüse der Erbsen sehr weit und vielfältig verbreitet, nämlich aufbereitet in Dosen in jeder gewünschten Verbrauchsmenge, mit und ohne Mörchen. Fehlt dann nur noch die Microwelle.
Zum Abschluss noch eine kleine Anekdote: Jugendliche hatten den Zaun einer Gartenanlage überstiegen und im Garten selbst kein gutes Benehmen an den Tag gelegt. Die Laune des Besitzers muss nicht beschrieben werden. Auch waren die gesamten Erbsen Sträucher verwüstet worden. Die „Täter“ wurden ermittelt und zur Rechenschaft gezogen. Diese waren auf Wiedergutmachung aus, sie kauften Erbsen in kleinen Dosen und gruben diese in der Dunkelheit nahe dem Erbsenreisig ein. Eine gelungene Überraschung, die selbst dem zürnenden Gartenbesitzer ein kräftiges Lachen abrang.


Die Ausführung „Erbsen und Ähze“ soll eine kleine vielleicht auch geschmackvolle Geschichte zum Thema Erbse sein, die in unserer Mundart besser als „Ähz“ bekannt ist und die auch nicht vom rheinischen Gericht „decke Bonne met Speck“ übertroffen wird. Da mag der Speck noch soviel Glanz um die äußere Mundpartie hergeben.

Hers am 17.7.24