Beilage der Dürener Zeitung
Donnerstag 18. Oktober 1934
Flachsverarbeitung, eine ausgestorbene Heimarbeit in Vettweiß
Von Bernhard Delhougne, Hauptlehrer in Vettweiß
Wie heute noch in der Eifel, so wurde in den 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts in unserer Gemeinde viel Flachs gesponnen. Damals wurde nicht soviel Frucht angebaut wie heute; man kannte noch keinen Kunstdünger, hätte ihn bei den armen Verhältnissen der damaligen Zeit auch nicht bezahlen können. Der Stalldünger reichte aber nicht hin, um alle Felder zu düngen, infolgedessen blieben abwechselnd Felder brach liegen.
Ein blühendes Flachsfeld muß in seinen himmelblauen Blüten einen gar prächtigen Anblick geboten haben. Der Dichter hatte recht, wenn er sagte: „Auf, kommt in die Felder und blühenden Au`n!“ Damals gab es nur wenige Häuser, in denen nicht das um 1530 erfundene Spinnrad schnurrte. Das schnurrende Rad wurde immer mehr durch die sinnreich konstruierten Spinnmaschinen verdrängt. Dasselbe Schicksal teilte der Handwebstuhl, der den Wettbewerb mit den mechanischen Webstühlen der Fabriken nicht auszuhalten vermochte.
Interessant ist nun die Ernte des bei der Reife gelb gewordenen Flachses. Er wurde mit der Sichel geschnitten; die Sense war noch wenig im Gebrauch. Auch wurde die ganze Pflanze mit der Wurzel ausgezogen. Längere Zeit blieb der gemähte Flachs auf den Feldern liegen, um gut trocknen zu können. Nach etwa 8-10 Tagen wurde er dann in Bündeln – je 2-3 Bündel zusammengestellt. Hieraus wurde er heimgefahren. Mit eisernen Kämmen „entknotete“ man den Flachs, d. h. die kugeligen, glatten, bräunlichen Samen wurden von den Stielchen entfernet und zur Frühjahrssaat aufbewahrt. Die eisernen Kämme bestanden meistens aus drei Brettchen; auf 2 seitlichen Brettchen befand sich das dritte, das mit nagelartigen Stiften – nahe zusammen, teils auseinander stehend – versehen war, befestigt. Um die holzigen Flachsstängel geschmeidig zu machen, wurden sie tagelang ins Wasser gelegt. Hierzu benutzte man meist das sogenannte „Wolfsmaar“. In den nassen Pflanzenteilen trat nun bald unter Einwirkung von Spaltpilzen eine Gärung ein, durch die die Rinde und die weichen Bastteile zerstört wurden, so daß sich die Pflanzenfasern leicht abziehen ließen. Diesen Vorgang nannte man „Rösten“. Zur Beseitigung der Holzkörper wurden die Stängel erst getrocknet oder gedörrt und sodann „gebrecht“, d. h. das mürbe gewordene Holz wurde durch die „Brääch“ in kleine Stücke gebrochen.
Die „Brääch“ war ein Gestell, das auf 4 Füßen ruhte. Zwei vierkantige Balken waren so miteinander verbunden, daß ein am oberen Ende dieser beiden Balken befestigter 3. Balken zwischen den beiden genau paßte. Der Flachs wurde nun quer über die beiden Balken bezw. auf die „Brääch“ gelegt. Der dritte Balken wurde beim Handgriff angefaßt und durch wiederholtes Auf- und Abwärtsdrücken der Flachs gequetscht oder „gebräächt“. Die nunmehr freigewordenen Pflanzenfasern waren netzförmig mit einander verbunden. Sie wurden daher mit einem Holz oder Brettchen solange geschlagen, bis sie von allen anhängenden Holz- und Rindenteilchen befreit waren. Endlich wurden die Fasern durch vorhin genannte eiserne Kämme – Hecheln genannt – gezogen. Hierdurch wurde das Netzwerk in einzelne Stränge zerrissen. Die langen Fasern erhielten eine gleichmäßige Lage und wurden von den kurzen Fasern getrennt. Letzere nannte man „Werg“.
Aus dem Werg wurden Bettücher, aus den feinen Flachsfasern jedoch Tischtücher, Hemden und dergl. hergestellt. In der Industrie wird das Werg zur Füllung von Polstern sowie zur Herstellung von Stricken und Packleinen benutzt.
In unseren Häusern wurde fleißig gesponnen, meistens im Winter. Die fertigen Spindeln brachte man zu den Leinewebern, die sowohl hier wie auch in Kettenheim wohnten. Diese Heimarbeit ging vom Vater auf den Sohn über, verblieb also nach damaliger Sitte in der Familie. Als Leineweber existierten damals die Familie bzw. Gebrüder Anton, Martin und Josef Imdahl sowie die Gebrüder Josef, Heinrich und Wilhelm Engels, in Kettenheim wohnte zu damaliger Zeit die Leinenweberfamilie Josef Strack, Heinr. Weber und ein Christian Feh. Den Webstuhl nannte man „Gezauh“. Hatte die „Gezauh“ ihre mühsame Arbeit endlich beendet, wurde das Leinen an seinen vier Enden mit Schlaufen versehen, dann steckte man vier Pflöckchen in den Boden der Bleiche und befestigte die vier Schlaufen an den vier Pflöcken, so daß das Leinen straff auseinander gespannt war. Durch oftmaliges Besprengen der Leintücher mit kristallhellem Brunnenwasser wurden die allerdings anfänglich noch rauhen Leinentücher schneeweiß. Bemerkenswert ist, daß auch eine Familie Kraus, damals der heutigen Erken´schen Schmiede gegenüber wohnend Leinenweberei betrieb.
Es zeugte von besonders ausgeprägtem Familiensinn, daß diese Heimarbeit in den Familien sich vererbte, entweder von den Eltern auf die Kinder oder auf nahe Verwandte. Wie rar das Geld damals war, beweist der Umstand, daß die Landwirte für gekauftes Leinen kein Geld, sondern sogenannte Deputate, wie Erbsen, Bohnen, Kartoffeln, Getreide gaben, sogar noch zu Anfang des 18. Jahrhunderts. Wie beliebt unsere Leineweber waren, geht daraus hervor, daß aus den umliegenden Ortschaften fertiger Flachs zum Verweben gebracht wurde. Das fertige Leinen wurde meistens selbst benutzt, nur hier und da verkaufte man aus dem Vorrat, um zu Geld zu kommen. Wie freute sich die Braut, wenn sie in der jungen Ehe einen mächtigen Stoß Leinen ihr eigen nennen konnte. Heute wird noch dieses eisenstarke, ganze Generationen überdauernde Leinen als elterliches oder großelterliches Erbe bewahrt und trotz feinerer Fabrikware gerne benutzt. Das fertige Leinen wurde öfters auch gestärkt; die Männer trugen flachsleinene Hosen und Kittel, die Frauen solche Röcke, auch an Sonn- und Feiertagen. Diese Kittel waren auf der Brust und auf den Armen mit allerlei Stickereien versehen. Mit einer schwarzen Schnur oder einem schmalen Bändchen wurden die Kittel am Halse gebunden. Die faltenreichen Kittel waren etwas länger als heute unsere Männerröcke. Mit Verfeinerung der Sitten und Gebräuche ist allmählich die Heimarbeit eingeschränkt und schließlich ganz beseitigt worden.
Meine Ausführungen möchte ich schließen mit dem originellen Weberlied.
1. Die Leineweber machen aus Flachs das Tuch. Und wenn man sie bezahlt. Ist es noch lange nicht genug.
2. Die Leineweber schlachten alle Jahr zwei Schwein. Das eine ist gestohlen das andere ist nicht sein.
3. Die Leineweber nehmen keinen Lehrjungen an. Der nicht 6 Wochen lang hungern kann.
4. Die Leineweber singen und flöten immer dabei. Und essen auch jeden Morgen gern ihren Brei.