Wenn die alten Gegenstände, die in unseren Häusern, Ställen und Scheunen schlummern, erzählen könnten, würden wir ein buntes Bild ihrer Geschichte und des damaligen Umfeldes erhalten.
Könnte meine erste Jagdflinte über ihr Leben berichten, würde sich folgende Geschichte ergeben:
Ich bin eine sogenannte leichte Jagdflinte vom Kaliber 16/70 und spezialisiert auf die Jagd von Niederwild.
Mein erster Eigentümer war Emilius Antonius Hubertus Maria Merckelbach, genannt Emil, der am 15.03.1889 in Wittem, Provinz Limburg der Niederlande, geboren wurde. Mit ihm verlebte ich meine ersten und erlebnisreichen Jagdjahre in den Revieren um Wittem, Gulpen und Froitzheim.
Leider ging diese schöne Zeit während des zweiten Weltkrieges auf tragische Weise vorbei. Warum?
Emil Merckelbach war Mitglied einer Gruppe der holländischen Widerstandsbewegung. Er wurde verraten, von der Gestapo verhaftet und in das Konzentrationslager Neuengamme bei Hamburg überstellt. Dort ist er an den erduldeten Leiden und Entbehrungen am 15.12.1944 verstorben.
Nun war ich jagdlich verwaist. Dieses Alleinsein dauerte jedoch nicht lange, denn ich wurde von Albert Joseph Hubert Maria Merckelbach, genannt Albert sen. dem Bruder von Emil Merckelbach, übernommen. Dort kam ich in jagdlich beste Hände.
Albert Merckelbach, geboren am 04.01.1892 zu Mechelen, war Bauer und bewirtschaftete den in Familienbesitz befindlichen Pfauenhof in Froitzheim.
Er war Jäger mit Leib und Seele. Seine jagdliche Passion galt den damals zahlreich vorhandenen Feldhühnern, den Fasanen, den Schnepfen und schließlich den Hasen. Die Jagd auf Rehwild und Sauen war nicht sein Ding.
Es wird berichtet, daß er einmal zu Beginn der Hühnerjagd an einem Tag die heute unvorstellbare Zahl von 99 Feldhühnern erlegt habe. Das hundertste Huhn zu schießen sei ihm nicht gelungen.
Albert Merckelbach übte die Jagd vornehmlich in dem von ihm gepachteten Jagdrevier Froitzheim aus. Er hatte das Revier von der Jagdgenossenschaft Froitzheim gepachtet.
Nachdem die Nationalsozialisten an der Macht waren, wurde ihm das Jagdrevier mit der Begründung, daß er Holländer sei, abgenommen. Ironie des Schicksals: Nach dem Krieg bot man es ihm wieder zur Pacht an. Entsprechend seiner ihm eigenen Gradlinigkeit lehnte er dieses Angebot jedoch dankend ab.
Es begann für mich und meinen Jagdherrn die lange Zeit der „Jagdruhe“. Zusammen mit den übrigen Jagdwaffen waren wir auf dem Speicher des Hauses Pfauenhof versteckt und harrten der Dinge, die auf uns zukommen würden.
Die kamen sehr schnell, denn es nahte die Front und das Ende des Krieges war abzusehen. Zu unserer eigenen Sicherheit wurden wir mit Stauferfett dick balsamiert, in Tücher eingepackt und im Garten des Ritzhofes tief vergraben.
Die Zeit des Untertauchens ging Gott sei Dank schnell vorbei. Ende Februar 1945 eroberten die Amerikaner Froitzheim, wir wurden ausgegraben, entfettet und sahen hoffnungsfroh in unsere jagdliche Zukunft.
Mein Jagdherr Albert Merckelbach sen. reduzierte altersbedingt seine jagdlichen Aktivitäten, deren Auswirkungen ich natürlich zu spüren bekam.
Zwangsläufig setzte ich, entsprechend dem alten Sprichwort „wer rastet der rostet“ auch schon etwas Rost an. Soll das alles gewesen sein?
Dann kam unerwartet für mich die Rettung. Sein Patenkind Hermann Josef Courth, zu dem er stets engen Kontakt gepflegt hatte, entwickelte ein steigendes Interesse an der Jagd. Dieses Interesse wurde von Albert Merckelbach intensiv gefördert.
Am 12.08.1953 bestand Hermann Josef Courth dann mit Erfolg die Jagdprüfung. Aus diesem feierlichen Anlass wurde ich dann dem Jungjäger Hermann Josef Courth mit folgendem Wunsch übergeben.
„Möges Du die Flinte meines verstorbenen Bruders Emil ein reiches Jägerlaben lang als waidgerechter Jäger und Schützer unseres Wildes führen“.
Nun war ich in guten Händen eines passionierten Jungjägers. Ich war durch Jahrzehnte sein treuer Begleiter und habe wesentlich dazu beigetragen, daß er das ihn anlaufende Wild auch zur Strecke brachte. Es bedarf keiner Frage, daß viele unvergessliche Jagderlebnisse und schöne Erinnerungen uns verbinden.
Fugit irreparabile Tempus! Unwiederbringlich entflieht die Zeit. Dieser Spruch des römischen Dichters Vergil hat auch heute noch unverändert seine Gültigkeit.
So hat mein Jagdherr aus Altersgründen sein aktives Jägerleben inzwischen beendet. Auch an mir hat der Zahn der Zeit genagt. Meine Funktion als Jagdflinte ist nicht mehr gegeben. Mehrere Büchsenmacher haben erfolglos versucht mich zu reparieren.
Nun friste ich also mein Dasein im Waffenschrank. Ich bin zu nichts mehr nütze.
Entsprechend den derzeit gültigen gesetzlichen Bestimmungen bin ich zu entsorgen. Das heißt im Klartext: Ich muß der örtlichen Polizeistelle ausgeliefert werden und werde geschreddert. Meine Überreste landen in einem Hochofen und werden zu Stahl verarbeitet. Habe ich das verdient?
Vor diesem Schicksal will mein Besitzer Hermann Josef Courth mich Gott sei Dank bewahren. Ich soll zukünftig als Dekorationswaffe dem Heimat- und Geschichtsverein Vettweiß zur Verfügung stehen und werde dann anhand vorstehender Legende den Interessenten über mein Leben als Jagdflinte berichten.