Mein Name ist Hubert Brandenburg und wurde als Sohn der Eheleute Bernhard Brandenburg und Josefa geb. Wollersheim am 03.06.1929 in Vettweiß im Hause der Familie Zens (heute Angenend) geboren.
Ich wurde in Vettweiß getauft, und besuchte ab 1935 bis zum 5. Schuljahr die Volksschule in der Schulstraße und am Marktplatz.
Anschließend wechselte ich zur Mittelschule nach Zülpich und nach 2 Jahren zum Emil Fischer Gymnasium nach Euskirchen.
1932 zogen wir um in das Haus meines Großvaters auf der Gereonstraße (frühere Hauptstraße) und 1942 in das Haus Gereonstraße 97, wo ich heute noch mit meiner Familie wohne. Meine Kommunion war im Jahre 1938 bei Pastor Gerards.
Bei Ausbruch des 2. Weltkrieges war ich 10 Jahre alt. Ich erinnere mich noch, dass wir in den letzten Kriegsmonaten öfters im Keller Schutz suchten, meistens nachts, wenn feindliche Bomber unseren Ort überflogen. Die Annäherung der Bomberverbände wurde der Bevölkerung durch die anfangs mit der Hand, später durch die elektrisch betriebene Sirene vermittelt.
Der unsinnige Krieg ging Jahre weiter. Im Jahre 1944 wurden die 15 und 16 jährigen Jungen aufgerufen und von der SA (Sturm-Abteilung) eingesammelt. Es hieß, zur Verteidigung des Vaterlandes sollten auch wir unseren Teil leisten. Wir wurden abtransportiert nach Merkstein und Herzogenrath, um einen Panzergraben auszuheben. Untergebracht wurden wir in der Aula der Schule.
Nach 14 Tagen weckte man uns nachts gegen 2 Uhr lauthals mit dem Befehl: "Aufstehen und packen, die feindliche Panzerspitze steht 4 Kilometer vor Merk- stein, aber dalli, dalli." Wir marschierten in dieser Nacht mit Gepäck nach Eschweiler bei Aachen, wo wir am späten Nachmittag ankamen. Dort wurden wir in einer Fabrikhalle einquartiert.
Am gleichen Abend fand sich eine kleine Gruppe von 5 - 6 Jungen zusammen, um über eine Fluchtmöglichkeit in der kommenden Nacht zu beraten. Auch ich gehörte zu dieser Gruppe. Wir flohen, wie abgesprochen, in der folgenden Nacht. Am Morgen bescherte uns das Glück einen freundlichen LKW Fahrer, der uns erlaubte auf der Ladefläche bis Düren mitzufahren. Von dort mussten wir unseren Fußmarsch fortsetzen und erreichten am späten Nachmittag erschöpft aber glücklich unseren Heimatort Vettweiß.
Nachdem wir einige Zeit wieder im Kreise unserer Familie waren, kam ein neuer Aufruf.
Wir mussten uns gegen 8 Uhr auf dem Marktplatz versammeln. "Was war denn jetzt schon wieder los?" Die Front war mittlerweile schon bis Hürtgenwald vorgedrungen.
Ohne zu wissen, was uns erwartete, wurden wir an diesem Morgen auf Militärfahrzeuge verladen.
Die Fahrt endete an diesem Tag für uns in Düren, wo wir weiter im Unklaren über unser Ziel und unsere Aufgaben gelassen wurden. Da Düren zu dieser Zeit schon unter Beschuss lag, regelmäßig schlugen im Ab- stand von einer Stunde mehrere Granaten ein, wurden wir im Keller des Dürener Gymnasiums (heutige Sparkasse) untergebracht.
Am nächsten Morgen ging es weiter nach Kufferath, wo man uns endlich unsere Aufgabe mitteilte. Auf dem Sportplatz hatte man ca. 100 Kühe zusammengetrieben. Unsere Aufgabe war nun, diese Tiere nach Jülich zu treiben. Wir waren Burschen aus Vettweiß, Ginnick, Froitzheim und Kelz. Ob auch noch aus anderen Ortschaften, ist mit entfallen.
Dann ging das "Spektakel" los. Nun wissen ja alle Leute, dass Hornvieh stur sein kann. So hatten wir unterwegs Mühe, die Tiere von den Feldern fern zu halten .Überall wo es grün war strömten sie aus um zu fressen. Da es zudem Morgentau gab, waren wir "Treiber" bis zur Hüfte durchnässt. Der "Herdentrieb" ging über Mariaweiler auf die B56 bis Huchem-Stammeln. Dort wurden die Kühe auf eine große Weide getrieben.
Die Bewohner von Huchem-Stammeln wurden aufgerufen die Tiere zu melken. Diesem Aufruf kamen die Bewohner gerne in großer Zahl nach, da sie die Milch behalten durften. Unser "Hirtenclub" wurde in dem kleinen Bahnhof untergebracht, wo wir von unserem "Begleitschutz" befragt wurden, wer die Herde am nächsten Tag "freiwillig" nach Jülich weitertreiben wolle. Es meldeten sich bis auf zwei alle Vettweißer, was sich später als Glücksfall herausstellen sollte. Von unserem "Begleitschutz" war danach nichts mehr zu sehen.
Warum wir uns "freiwillig" meldeten? Bei uns Vettweißern waren auch 2 Führer aus der Hitlerjugend, die uns jede Woche gehetzt und getrietz hatten. Wir wollten diesen, da wir nun unter uns waren ("Begleitschutz" hatte sich ja aus dem Staub gemacht) eine verdiente Abreibung verpassen. Aber irgendwie hatten die beiden davon erfahren, und gehörten dann zu denjenigen die sich nicht freiwillig gemeldet hatten.
Am nächsten Tag wurden die Kühe nochmals gemolken und der Zirkus begann aufs Neue. Auf dem Weg nach Jülich durchquerten wir einige Ortschaften. In einem dieser Dörfer (der Name ist mir leider entfallen) begab sich folgender Zwischenfall: Als wir an einem Bauernhof, versehen mit einem großen Tor und einer kleinen Tür, welche sich in der Mitte des großen Tores befand und offen stand, vorbeikamen, drängelten sich gleichzeitig drei Kühe durch die kleine Tür in den Bauernhof. Es kam, wie es kommen musste! Die Kühe rissen die gesamte Torkonstruktion aus den Angeln. Da war das Geschrei natürlich groß. Erst nachdem wir dem Bauern die drei "Missetäter" überließen, konnten wir weiterziehen. Ohne weitere Zwischenfälle erreichten wir unter staunenden Augen der Bevölkerung Jülich. Das Ziel war erreicht.
Als wir uns auf dem Rückweg von Jülich nach Düren befanden (wir sollten uns dort bei der Kommandantur zurückmelden) kam uns mein Vater und Bertram Rittmeyer, der Vater von Arnold Rittmeyer, mit dem Fahrrad entgegen. Das erste, was mein Vater zu uns sagte:" Gott sei Dank". Danach erzählte er uns, dass die anderen Jungs, die sich nicht freiwillig gemeldet hatten, nach Nörvenich in ein Soldatenlager gebracht worden waren. Aus diesem Lager heraus hatten Soldaten mit Maschinengewehren auf JABOS (Jagdbomber) geschossen. Die wiederum hatten sofort das Lager im Sturzflug angegriffen und beschossen. Dabei wurden über 20 junge Leute getötet. Ich erinnere mich, dass vier Jungs, die am Tage zuvor noch bei uns waren und aus Ginnick stammten, getötet wurden. Dies war der "Glücksfall", den ich vorher beschrieben habe.
Ich erzählte meinem Vater, dass wir uns in Düren auf der Kommandantur zu melden hätten. Seine Antwort war eindeutig: "Nix da, ihr geht sofort mit uns nach Hause".
Der Krieg tobte weiter im Hürtgenwald. In Vettweiß befand sich ein Pionierpark und am Bahnhof wurde Kriegsmaterial für den Kampf an der Front ausgeladen. Desweiteren befand sich auf der Burg Vettweiß ein Treibstofflager. Dies blieb den alliierten Streitkräften nicht lange verborgen.
Dann kam der 30.11.1944, Bombenangriff auf Vettweiß Ich stand mit meinem Vater auf unserem Hausdach, um Grantsplitterschäden auszubessern. Zu diesem Zeitpunkt wurde Vettweiß schon aus dem Hürtgenwald beschossen. Es war eine gute Stunde vor Mittag, als sich ein Geschwader unserem Ort näherte. Plötzlich hing ein grausiges Sausen in der Luft. Es krachte es zu beiden Seiten von uns. Wir stiegen so schnell es ging vom Dach, rannten zusammen mit meiner Mutter in den Garten, um in unserem selbst ausgehobenen Bunker "Dreckloch" Schutz zu suchen. Aber es war schon alles vorbei. In der Luft hing nur noch Gestank von Pulver und Staub. Ich habe viele der in Vettweiß getöteten Zivilisten gekannt. Auch viele der hier stationierten Soldaten kamen an diesem Tag ums Leben.
Der Krieg wurde immer schlimmer, und wir verbrachten viele Nächte im Schutzraum.
Die Evakuierung stand an. Mein Vater und mein Onkel fuhren mit dem Fahrrad in den Siegkreis, um für die Familien eine Unterkunft zu suchen. Diese fanden sie in Rauschendorf bei Oberpleis. Sie besorgten sich Pferd und Wagen beim Bauern. So bekamen wir einen eisenbeschlagenen Wagen "Knollenwagen" und eine Karre, dazu ein Pferd und 2 Ochsen vom Landwirt Franz Courth (Mönch- hof) zur Verfügung gestellt. Als er erfuhr, dass wir nach Rauschendorf wollten, erinnerte er sich, dass dort ein Freund von ihm wohnte und auch eine Landwirtschaft führte. So könnten wir die Tiere bei diesem unterstellen, der sie füttere und auch in seinem Betrieb benutzten sollte. So der Wunsch von Franz Courth. Wir bauten ein Dach über den Wagen und alles war bereit. Wagen und Karre wurden beladen. Am 28.Februar 1945 ging es los. Die Männer blieben bei Wagen und Karre. Meine Mutter und ich nahmen die Fahrräder.
Gar manch einem wird die "schnelle Gangart" eines Ochsen bekannt sein. So ging es dann im "Ochsengalopp" auf zum Siegkreis. Die erste Etappe endete in Miel. Dort durften wir auf der Burg übernachten, nicht in Betten, sondern im Stall auf Stroh zwischen den Pferden. Am Morgen gab es noch ein kleines Frühstück dann kam Teil zwei bis nach Bonn.
Meine Mutter war als Radfahrerin nicht so firm, so dass wir die Räder mehr schoben als fuhren. Immerhin kamen wir fast bis Bonn. Da es in der Zwischen- zeit angefangen hatte zu regnen, suchten wir Schutz unter dem Dach einer still- gelegten Tankstelle. Es regnete immer weiter, bis dann unser Treck auftauchte. Mein Vater bat meine Mutter und mich bei diesem Wetter noch etwas zu bleiben. Wir wollten uns dann später direkt hinter der Bonner Rheinbrücke treffen. Als wir am Treffpunkt ankamen, war von den anderen nichts zu sehen, obwohl wir die Wagen nicht überholt hatten. Also warteten wir wie abgesprochen. Doch wurden wir von einigen Soldaten angesprochen und aufgefordert weiterzugehen da die Brücke angegriffen werden könne.
Nach vielleicht einer Stunde nervöser Wartezeit kam der Treck "angebraust". Die Verspätung war durch eine Umleitung entstanden. Glücklich vereint ging es weiter Richtung Rauschendorf. Auf dem Weg dorthin, die Tiere mussten getränkt werden, steuerten wir einen Bauernhof an. Da gab es nicht nur für die Tiere Was- ser und Futter, sondern auch Erbsensuppe für uns. Die Familie war sehr nett. Wir bedankten uns sehr, und kamen am späten Nachmittag in Rauschendorf an.
Am 21. März 1945 (Frühlingsanfang),wir befanden uns noch im Keller, da klopf- te es heftig an der Tür. Mein Vater ging und öffnete. Vor ihm standen zwei amerikanische Soldaten mit schussbereiten Gewehren. Nachdem sie den Keller nach deutschen Soldaten durchsucht hatten, durften wir diesen nicht verlassen, da noch gekämpft wurde.
Beim Beschuss des Ortes wurde auch der Stall getroffen in dem unsere Ochsen Kost und Logie hatten. Dabei wurde einer unserer Ochsen so schwer verletzt, dass er geschlachtet werden musste. Ein paar Kilo Fleisch haben wir vom Landwirt abbekommen.
Als die Front weitergezogen war, machten wir uns Gedanken, wie und wann wir nach Vettweiß zurückkehren könnten. Da machte das Gerücht die Runde, man könne wieder auf die andere Rheinseite. Zusammen mit meinem Vater fuhren wir beide mit den Fahrrädern nach Bonn, und brachten die Nachricht mit, der Weg ist frei. Einige Tage später fuhren wir zwei Richtung Heimat. In Vettweiß angekommen, vermissten wir zuerst unsere Kirche. Unser Haus stand noch. Bis auf kleinere Schäden (fehlende Dachziegel und Fenster) war alles in Ordnung. Beim Eintreten stellten wir jedoch fest, dass alle Möbel und der ganze Hausrat fehlten. Wenig später fuhren wir zu meinem Onkel, der früher zurückgekommen war. Eine Überraschung empfing uns. Mein Onkel hatte alle unsere Möbel in Soller bei einem Bauern untergestellt.
Mein Vater fand Arbeit auf der Burg in Vettweiß. Nun begann die Überlegung meine Mutter und die Familie meines Onkels aus Rauschendorf zu holen.
Beim Inhaber der Burg, Herr Erasmi, wurde ein Pferd und eine Karre geborgt und wir fuhren um meine Mutter zu holen.
Nachdem wir unsere "Sieben Sachen" verladen hatten, holten wir noch das dort zurückgelasse Pferd und den einen Ochsen, spannten an, und ab ging es Richtung Rhein.
In Bonn angekommen sagte man uns, dass die Pontonbrücke nur am Morgen von Heimkehrern benutzt werden durfte. Übernachtet haben wir sodann in einem Abteil eines abgestellten Personenzuges. Am nächsten Morgen wurden wir ENTLAUST und weiter ging es nun zügig, soweit der Ochse mitmachte, nach Vettweiß.
In Vettweiß angekommen wurden zunächst einmal die Möbel in Soller abgeholt.
Da mein Vater in den 20er Jahren bei einem Dachdecker gearbeitet hatte, war er ein gefragter Mann. Es wurden Dachziegel von den Schuppen auf so manches ausbesserungswürdige Hausdach umgelegt, und ich konnte ihm dabei kräftig helfen.
Mögen die Staatsmänner in Zukunft so viel Vernunft aufbringen, dass dies unse ren Kindern und Nachkommen erspart bleibe.