(†1. Novemver 2014), geb. Pieck) hat dem Wunsch des Heimat- und Geschichtsvereins Vettweiß gerne entsprochen in einem Gespräch Erinnerungen aus Kind- und Jugendzeiten aufzufrischen, damit sie jüngeren Generationen stets präsent sein mögen. Das Gespräch führte Günter Esser mit Agathe Michels am 12. Juni 2013.
Agathe MichelsAgathe erzählt: Ich wurde im Jahr 1927 als Tochter der Eheleute Thomas und Gertrud Pieck geb. Boensch in Vettweiß geboren. Meine Eltern stammten beide aus Kelz, wo deren Eltern eine Schreinerei unterhielten. Die Schreinerei "Matthias Pieck". Was lag da näher, als dass mein Vater den Beruf des Schreiners zu erlernen hatte. Es wurde zu damaliger Zeit von den Eltern bestimmt, welchen Beruf ihre Kinder zu erlernen hatten.
Nach Lehrzeit, späterer Meisterprüfung und Hochzeit zog es meine Eltern nach Vettweiß. Ihr zu Hause war fortan am heutigen Ulmenweg mit der Haus - Nr. 8. Damals wie heute war und ist der Ulmenweg ja besser bekannt als "Henge de Ööfte"
Der eigentliche Sinn des Umzuges aber, so glaube ich, war der Drang nach Selbstständigkeit, der dann auch gleich in Angriff genommen wurde. Es entstand die Schreinerei "Thomas Pieck". Die Ehe meiner Eltern war mit 5 Kindern gesegnet, die ich gerne altersmäßig aufzeige: Katharina, Agnes, Heinz, Agathe und Hans-Josef.
Die Schreinerei vergrößerte Vater ständig, und auch bald wurden die ersten Lehrlinge in die Kunst des Schreinerhandwerks eingeführt, von denen ich noch einige benennen kann: Matthias Esser, Peter Lückerath aus Disternich und Heinrich Schäfer, er war der erste Lehrling und dessen Name mit dem heutigen Möbelhaus identisch ist. Und was war vorgegeben? Auch meine Brüder hatten dieses Handwerk zu erlernen, Eigeninteressen wurden erst gar nicht lange diskutiert.
Die Tatsache, dass unser Garten direkt an den damaligen Kindergarten und den dahinter liegenden Spielplatz angrenzte, war für mich steter Anreiz auch am Kindergartengeschehen, obwohl ich noch nicht im aufnahmefähigen Alter war, teilzunehmen. Es klappte auch sehr oft, und ich war, so glaube ich, ein gern gesehener "Gast", besonders bei der Kindergärtnerin "Tante Leni", oder war ich etwa das "Nesthäkchen"?. Ich fühlte mich jedenfalls oftmals so.
Nach Jahren des Kindergartens war der Tag der Einschulung im Gebäude an der heutigen Schulstraße, in nach Mädchen und Jungen getrennten Klassen, im Jahre 1934 gekommen. Ich als Kleinste in der ersten Bank, vor mir Lehrerin Frau Mang, in schwarzem Kittel mit ihrer durchdringenden Stimme, eine wahre Respektperson. Da gab es auch schon mal zitternde Kniee. Die Jahre zogen dahin, in denen wir auch von Herrn Capellmann und Bernhard Engels unterrichtet wurden.
Eine Anekdote fällt mir ein, die ich nicht auslassen möchte. In höheren Klassen stand das Fach Handarbeit für Mädchen auf dem Stundenplan. Es wurde gestrickt, gehäkelt und auch geflickt. Die Frage von Frau Mang an eine Schülerin, weshalb sie sich nicht beschäftige, wurde von dieser beantwortet, dass sie zum Flicken kein Material mehr habe. Die Antwort von Frau Mang: "Dann doon de Botz us on stopp die!"
Anmerkung des HGVV: Wir wollen hier von der Redaktion noch einen weiteren Spruch anfügen, der der Lehrerin nach-gesagt wird. Es war Mode bei den Mädchen aus bunten, breiten Bändern große Schleifen zu fertigen (als "Schlopp" bekannt) und diese ins Haar zu stecken, was Frau Mang oft zu dem Spruch bewegte: "Du met dengem Flieger, Du häss mie om Kopp, als em Kopp!"
Die Schulzeit ging vorüber und mit der Entlassung musste ein Pflichtjahr für Mädchen absolviert werden. Liebend gerne hätte ich dies in der Gastronomie im Gasthof von Peter und Gertrud Hülden absolviert. Die Grundstücke von Pieck und Hülden lagen, nur durch den "Schwarzen Weg" getrennt, rückwärtig gegenüber. Dieser Umstand war es wohl, dass ich mich schon Jahre vorher gerne der Mädel, Annemie und Karin, annahm und für diese "Kindermädchen" war. Später noch für Tochter Mechtilde. Es entwickelte sich ein sehr freundschaftliches Verhältnis, auch unter den Familien, das auch heute noch anhält.
Doch ein Pflichtjahr in der Gastronomie wurde durch die "Partei" nicht anerkannt. Pflicht war es, das Jahr in der Landwirtschaft abzuleisten, da die Landwirte als " Selbstversorger" galten. So trat ich dann 1942 meine Stellung in Vettweiß auf dem Bachhof (heute von Laufenberg) an.
Eigentümer des Hofes war eine Familie Brüggemann aus Köln, die an den Landwirt Hans Schmitz, (besser bekannt als "Englisch Willche") verpachtet hatten, der aber nach Ablauf der Pacht, diesen nicht mehr verlängerte, so dass das Ehepaar Heinrich und Elisabeth Titchens, vom Niederrhein stammend, den Bachhof in Pacht übernahm. Und bei dieser Familie, zu der auch noch zwei kleine Kinder zählten, trat ich, wie bereits erwähnt, meine Stellung an.
Ich fühlte mich wohl im Haushalt und bei der Kinderbetreuung. Doch deuteten die Einquartierungen von Soldaten bei vielen Vettweißer Familien nichts Gutes. Auch auf dem Bachhof war eine stattliche Zahl Soldaten und Offiziere einquartiert. Oftmals war leiser Geschützdonner aus der Eifel zu vernehmen.
30. November 1944.
Angriff und Ausmaß der Schäden sind ja hinlänglich bekannt. Der Bachhof erhielt einen leichten Treffer. Doch im Baumgarten, er erstreckte sich hinter den Stallungen und der Scheune bis zum Friedhofsweg, in der Länge bis auf Höhe des Friedhofs, waren zwei Bomben niedergegangen und hatten tiefe Krater gerissen. In der Nachbarschaft, auf Burg Erasmy, brannte eine Scheune lichterloh. Wir hatten einfach Glück gehabt. Gott sei Dank!
Noch in der selben Nacht ging es mit einem Militärauto in die Evakuierung. Das Notwendigste wurde eiligst zusammengepackt, meine Eltern wurden informiert, und dann nichts wie weg.
Das Ziel war ein Bauernhof, der von Verwandten bewirtschaftet wurde, nahe der Ortschaft Oedt am Niederrhein, in der Nähe zu Grefrath und Krefeld.
Doch einige Wochen später, Herr Titchen war zwischenzeitlich mit dem Fahrrad in Vettweiß gewesen, ereignete sich der nächste Schicksalsschlag. Frau Titchen war mit dem Fahrrad auf Besuchertour eines abgelegenen Bauernhofs, als sie von einem Militärfahrzeug angefahren wurde. Der Umstand, dass sich in dem Fahrzeug ein Arzt befand, der Soforthilfe leistete, rettete ihr sicherlich das Leben. Sie trug schlimmste Knochenbrüche und Kopfverletzungen davon und wurde nach Krefeld zu einer Krankenstation gebracht, die sich in einem Hochbunker befand. Besuche wurden mit dem Fahrrad vorgenommen, wobei stete Vorsicht wegen der feindlichen Tiefflieger geboten war. An einen Besuch durch die Kinder war nicht zu denken.
Dann kam der Tag, an dem Frau Titchen ins Krankenhaus nach Fischeln verlegt werden sollte. Sie bestand nachhaltig darauf, einen Umweg über ihr derzeitiges zu Hause zu machen. Sie wollte ihre Kinder Marlies und Helmut sehen, sie hat sich durchgesetzt. Elisabeth Titchen zeigte sich sehr zufrieden. Ich glaube noch heute, dass dieses Ereignis ihren langen und schwierigen Heilungsprozess positiv gefördert hat.
Anfang März wurde die Region um Krefeld von den Amerikanern eingenommen, und es dauerte noch einige Zeit, bis Herr Titchen sich mit dem Fahrrad nach Vettweiß traute. Nicht selten sorgten ausländische Zwangsarbeiter, die unter dem "Regime" zu leiden hatten, mit ihrer Agressivität für Angst bei der Bevölkerung. Aber mit der Zeit wurden die Fahrten immer öfter und ausgedehnter. Bei jeder Fahrt schaute er bei meinen Eltern vorbei, ohne sie anzutreffen. Doch dann kam er eines Tages in Begleitung meiner Schwester Agnes zurück. Ach, war das eine Freude, nach so langer Zeit von der Familie einen zu sehen und zu hören.
Meine Familie hatte die Evakuierung nach Oeventropp im Sauerland verschlagen, die sie gottlob heil überstanden hatte. Jetzt setzte, wenn man so will, zwischen Oedt und Vettweiß ein kleiner Pendelverkehr ein.
Es war dann Ende 1945 oder Anfang 1946, als die ganze Familie wieder nach Vettweiß zurückkehrte. Der Gesundheitszustand von Frau Titchen hatte sich zwar gebessert, aber an Arbeit war kaum zu denken.
Großes Aufräumen von Hof und Stallungen war angesagt. Die Zustände im Wohnhaus eine noch größere Herausforderung. Man hatte den Verdacht, dort hätten Tiere und keine Menschen gehaust. Aber wir schafften es.
Im Jahre 1949 beendete ich meine Tätigkeit im landwirtschaftlichen Betrieb von Heinrich und Elisabeth Titchen. Es wartete Arbeit im Elternhaus. Unvorstellbar: Aus dem einen Pflichtjahr waren deren neun geworden, in denen ich Kindermädchen, als Ersatz für Elisabeth Titchen, auch Erzieherin und nebenbei noch Wirtschafterin gewesen bin. Im Hause Titchen habe ich eine einmalige Vertrauensbasis genossen, die bis heute von den beiden Kindern (sind auch schon in die Jahre gekommen) aufrecht erhalten wird. Ich schäme mich meiner Tränen nicht, wenn ich hier erzähle, wie sehr ich mich immer wieder über die regelmäßigen Telefonate und Besuche freue. Diese Gesten zeigen mir, dass sie meine Arbeit mit ihnen schätzten, dass sie mich akzeptierten und vor allem respektierten.
Doch zwischenzeitlich hatte die Liebe "angeklopft" in Person von Hans Michels "Günter;" sagte Agathe," ich kann Dir die Frage, ob es Liebe auf "den ersten Blick" oder aber "alte Liebe" war, Hans war ja der gleiche Jahrgang wie ich, leider nicht beantworten." Wir haben uns dann darauf verständigt: Es war "alte Liebe".
Die "alte Liebe" zwischen Agathe Pieck und Hans Michels wurde im Jahre1950 durch die Heirat besiegelt.
Und mit diesem neuen Lebensabschnitt wollen wir auch die Erzählungen zu Agathe Michels Erinnerungen beenden. Doch dann sagt sie noch einen Satz, den wir nicht vorenthalten wollen und können. Ein Satz, den man ruhig mehrmals lesen sollte, der nachdenklich stimmt und der auch dienlich in der heutigen Zeit wäre.
"Es war eine harte Zeit, ein sehr harte Zeit für all die Leute, die den Krieg und die Nachkriegszeit erlebten und durchlebten. Doch wir haben uns die Zeit so schön gemacht, wie wir eben konnten, und haben bei allen Entbehrungen, es waren nicht gerade wenige, viel Spass und Freude am Leben wiedergefunden und haben diese Freude stets zu erhalten versucht!"