Die Zeit nach dem Krieg v. Hubert Brandenburg
Der Krieg war "Gott sei Dank" beendet.
Nun wurde bei Vertriebenen und Geflohenen Überlegungen angestellt, wie komme ich am besten und am schnellsten wieder in die Heimat? Mancher nahm für die Rückkehr tagelange Fußmärsche, Hunger und andere Strapazen auf sich, um mit Rucksack, beladenen Handwagen oder mit Fuhrwerken schnell in die Heimat zu gelangen.
Mitte April 1945 waren wir wieder gesund und glücklich in Vettweiß angekommen. Wir hatten die Möglichkeit, die Rückreise aus der Evakuierung im Siegkreis mit Pferd und Wagen aber auch zu Fuß oder mit dem Fahrrad anzutreten.
Mein Vater, der bis Kriegsende in Düren bei der Firma Busch - Jäger Dürener Metallwerke (Heute: End Art Düren) beschäftigt war, fand vorerst Arbeit auf der Burg Vettweiß bei der Familie Erasmy. Nebenbei beseitigte er, mit meiner bescheidenen Hilfe, Dachschäden bei den Vettweißer Mitbürgern.
Nun wurde die Möglichkeit gesucht, Haus und Garten in brauchbaren Zustand zu versetzen. Man besorgte sich Schweine, Hühner, Ziegen und Kaninchen, um überhaupt überleben zu können. Fleisch, Butter, Milch, Brot und Kartoffeln gab es so gut wie gar nicht. Man wurde einfach zum Selbstversorger. In dieser schlimmen Zeit wurden die Lebensmittelkarten und die Bezugsscheine eingeführt. Die zustehenden Lebensmittelmengen wurden in Lebensmittelgeschäften, Metzgereien, Bäckereien und anderen Läden - sofern etwas da war - eingetauscht.
Hier einige Beispiele von Fragmenten der so "geliebten" Überlebungspapiere:
In dieser Zeit gab es eine aus der Not geborene Beschäftigung "Hamstern". Dieses Hamstern wurde zum Großteil von der Stadtbevölkerung, die weder die Möglichkeit einer Viehhaltung noch einen Garten hatten, betrieben.
Die Stadtbewohner fuhren zu der Landbevölkerung um essbare Sachen zu kötten (also hamstern). Dabei wurde des öfteren Hausrat (z.B. Teppiche) zum Tausch gegen Kartoffeln, Butter oder Fleisch angeboten.
Die Eisenbahnzüge, die in dieser Zeit nur sporadisch fuhren, waren von Hamstern so überfüllt, dass die Leute auf den Trittbrettern standen, oder auf den Wagendächern saßen. (Das stelle man sich nur heute einmal vor).
Mit Rucksack und anderen Behältnissen "bewaffnet", dazu mit einer kleinen Harke bestückt, zog man auf die abgeernteten Parzellen. Dort wurden in stundenlanger Arbeit die Äcker umgeharkt, um eventuell noch einige Kartoffeln zu finden.
Auch die abgeernteten Getreidefelder wurden "besucht" um liegengebliebene Ähren aufzusammeln. Dabei kam es schon mal vor, dass auf noch nicht geernteten Feldern ein Teil der Ähren mitgenommen wurde, wenn der betreffende Bauer gerade nicht in der Nähe war. Es war einfach der Hunger, der die Leute antrieb.
Im Laufe der Zeit wurde der Wert des Geldes (Reichsmark) immer weniger. Das "Hamstern" bezog sich jetzt auch auf andere Gegenstände. Für viele Raucher war es eine entbehrungsreiche Zeit. Tabak war Mangelware. Und plötzlich verbreitete sich die "Tabakpflanze". Fantasie war gefragt und wurde gefunden um den Mangel auszugleichen. Jeder hatte ein anders Rezept, um diese "Selbstzucht" der Pflanze zu verfeinern und auf die er richtig "stolz" war. Mein Opa rauchte sogar Nussbaumblätter.
Für Lebensmittel, Kleidung und viele andere Gegenstände des täglichen Gebrauchs mussten überzogene Preise gezahlt werden. Für 1 Zigarette der Marke "BOSCO" wurden 3.00 RM verlangt und für eine einzige "amerikanische" sogar bis zu 8.00 RM.
Mittlerweile hatten auch die Behörden und die Schulen den Betrieb wieder aufgenommen.
Ich erinnere mich, dass in den ersten Nachkriegsjahren nur 3 Züge täglich auf der Strecke Düren - Euskirchen in beide Richtungen fuhren, und anfangs bei diesen "Transporten" Güterwagen eingesetzt wurden. Die Personen standen in diesen Wagen, und es mutete an wie bei einem Viehtransport.
So kam, wie es kommen musste, die Währungsreform im Juni 1948.
Ab jetzt fingen alle mit 40 DM an.
Doch es gab auch "schlaue" Geschäftsleute, die hatten zur RM - Zeit Waren und Gegenstände im Keller gehortet und zum Verkauf nicht angeboten. Diese Sachen wurden nun nach der Währungsreform teuer - jetzt in DM - angeboten und verkauft. Von mal zu mal verbesserte sich die Situation, das Leben wurde erleichtert. Die Lebensmittelkarten und Bezugsscheine wurden abgeschafft. Es kamen wieder Produkte in die Läden, die man bisher nicht bekommen konnte und von denen man noch nicht einmal zu träumen gewagt hatte.
"Hamstern" ade. "Hamstern" war gestern.
Es trat wieder Normalität ein und auch das Vereinsleben erwachte. Sportverein, Schützenbruderschaft, Karnevalsgesellschaft und andere Gruppen feierten jetzt ihre Feste.
Die Bevölkerung erwachte nach Jahren der Unterdrückung und Entbehrungen zu neuen Aktivitäten.
Im Februar des Jahres 1949 übersiedelte ein Landwirt von Krefeld – Fischeln nach Vettweiß auf den Bachhof (heute von Laufenberg). Es handelte sich um die Familie Ludwig und Katharina Jansen, mit vier Töchtern und einem Sohn.
In Vettweiß nannte man fortan den Landwirt Ludwig Jansen "Et Büeke"
Da es in anderen Regionen unterschiedliche Begebenheiten und Arbeitsweisen gibt, wurde im ersten Jahr beim Einfahren des Getreides für die "Vettweißer" eine Überraschung sichtbar. Plötzlich entstand, vom Landwirt Jansen aus den Getreidegarben gebaut, eine rundes „Gebilde“ mit Dach. Es gab damals nicht viele Vettweißer, die diese Bauweise nicht bestaunt haben.
In unserer Gegend entstand beim Einlagern der Garben eine Art Haus, welches durchaus mit einem solchen vergleichbar war, also ein Viereck oder Rechteck mit einem Schrägdach aus Garben. Daran wurde Wochen später die Dreschmaschine angesetzt und sodann mit dem eigentlichen Dreschvorgang begonnen. Die damaligen vielen arbeitsintensiven Vorgänge werden heute in einem "Aufwasch" binnen weniger Tage von einem Mähdrescher erledigt.
Nachträglich ist mir noch eine Episode eingefallen:
Mein Großvater Hubert Brandenburg war im Besitz von fünf Donnerbüchsen Kaliber 16 und 20. Er besuchte damit die Schützenfeste in der näheren Umgebung. Mit diesen Donnerbüchsen wurden die Holzvögel geschossen und damit auch der Schützenkönig ermittelt. Mein Vater musste immer dabei helfen. Nach dem Tode meines Großvaters erbte mein Vater Bernhard diese Gewehre und besuchte weiterhin die Schützenfeste. Als ich größer war, half ich ihm dabei. Gegen Ende des 2. Weltkrieges beschäftigte meinen Vater die Frage, wo verstecke ich die Gewehre. Sie sollten ja nicht in fremde Hände fallen. Nach vielen Überlegungen kam meinem Vater die rettende Idee. In unserem Hof befand und befindet sich noch ein Brunnen. Die Gewehre wurden dick eingefettet, mit einem Metallseil zusammengebunden und im Brunnen versenkt.
Als nach dem Krieg wieder die Möglichkeit bestand, Schützenfeste zu feiern, wurden die Gewehre aus dem Brunnen gezogen und gereinigt. Nachdem wieder Schusswaffen zugelassen waren, wurde auf Schützenfesten wieder GEBÖLLERT.
Nach dem Tode meines Vaters habe ich 3 Donnerbüchsen der St. Gereon Schützenbruderschaft Vettweiß – Kettenheim verkauft.
Damit wird heute noch jährlich der Schützenkönig ermittelt. Die Vettweißer freuen sich beim Schützenfest auf den Knall der Donnerbüchsen.
Vettweiß, den 25.07.2013