Es bedurfte keiner langen Überlegung, dass ich, dem Wunsch des HGVV entsprechend, meine Erinnerungen auffrischte und in einem Gespräch mit Günter Esser am 30. August 2013 darlegte.
Im Juni 1934 wurden mein Bruder Heinz und ich als Zwillingspaar von Mathias und Eva Klösgen geb. Koch geboren. Im Januar 1940 folgte dann noch unser Bruder Matthias. Unsere Mutter war in zweiter Ehe mit Mathias Klösgen verheiratet. Peter Berbuir, ihr Mann aus erster Ehe, verunglückte bei einem Unfall in einer Sandgrube tödlich. Aus dieser Ehe gingen die Söhne Willi und Hans hervor.
Einschulung war im Jahr 1942. Da der Schultrakt an der heutigen Schulstrasse eine bauliche Erweiterung erfuhr, "erlebten" wir noch das alte Gebäude am Marktplatz. 1944 dann der Umzug in das nun erweiterte Schulgebäude. Ende November wird der Schulbetrieb dann gänzlich eingestellt, die Gefahren des Krieges waren zu hoch, als dass die Verantwortlichen die Schüler unnötig den Gefahren aussetzen wollten.
Was aber konnten wir uns als Kinder schon unter Krieg vorstellen? Dass um Familienväter oder Anverwandte, die in Uniformen steckten, in den Familien gebangt wurde, war förmlich zu spüren. So war mein Halbbruder Willi in Norwegen stationiert, während Bruder Hans bei der Marine auf dem Schlachtschiff "Prinz Eugen" seinen Kriegsdienst leistete.
Ende Oktober 1943 war Willi für 2 Wochen auf Fronturlaub, um die Heirat mit Maria Heinen aus Gürzenich einzugehen. Eigenmächtig überzog er den Urlaub um einige Tage, wohlwissend, dass dies nicht gut gehen könne. Und richtig nach 3 Tagen stand die Feldgendarmerie (im Landserjargon als "Kettenhunde" gefürchtet) im Haus. Abtransport nicht etwa nach Norwegen, nein zur Frontbewährung nach Russland. Er starb dort im Einsatz am 18. Februar 1945.
Ja, was bekamen wir zu dieser Zeit vom Krieg mit. Bomberverbände überflogen Vettweiß oftmals in großer Höhe, wobei die Hoheitsabzeichen an den Flugzeugen mit bloßem Auge schwerlich auszumachen waren. Äußerste Gefahr ging von den Tieffliegern aus,die zeitweise eine richtige Personenjagd machten. Auf dem Bachhof bei der Familie Titchen war eine KFZ-Staffel einquartiert, auf Burg Erasmy eine Bäckerei und Küche,so dass für uns Nachbarkinder immer etwas abfiel.
Aber dann der 30. November. Wir Kinder befanden uns im Haus, meine Mutter im Keller, wo sie dabei war Mehl zu sieben. Ein eigenartiges Geräusch ließ aufhorchen. Es hörte sich an, als ob ein riesiger Hornissenschwarm im Anflug wäre. Rasch wurde aber klar, dass es sich um Flugzeuge handelte. Einschläge von Bomben waren zu hören. Soldaten, die bei uns einquartiert, aber außer Haus waren, kamen angelaufen und stürmten sofort in den Keller, wo sie ihre Schlafplätze hatten. Der Anblick meiner am Mehlsieb werkelnden Mutter, mit Mehlstaub leicht angestaubt, ließ sie aufschreien, da die Soldaten der Annahme waren, Mutter sei durch den Angriff irgendwie verletzt worden.
Mich trieb es nun ins Freie. Oh, Gott. Nebengebäude der Burg Erasmy, wo sich ein Tanklager der Wehrmacht befand, standen in hellen Flammen. Eine gewaltige Druckwelle breitete sich in unsere Richtung aus. Mir schien, als klebte ich förmlich an unserer Hauswand fest, bis ich von einem Soldaten in den Keller gezogen wurde.
Die Schäden in der Dorfmitte anzusehen, wurde uns Kindern an diesem Tag von Mutter strengsten untersagt. Am nächsten Tag gab es kein Halten mehr. Obwohl erst 10 Jahre alt, kann ich von einem gewissen Schock über das Geschehen sprechen, da derartiges für uns unvorstellbar war. Diese Zerstörung, die Trümmer und die noch andauernden Schwelbrände, wobei die Aufräumarbeiten auch durch eine große Anzahl von Soldaten in vollem Gange waren. Doch der erlebte Schock war, sicherlich dem kindlichen Alter geschuldet, nach Tagen wieder verflogen.
Denn einen Tag später, am 2. Dezember, war Aufbruch in die Evakuierung. Die ganze Familie, einschließlich Schwiegertochter Maria, machte sich auf den Weg ins Ungewisse. Mit dem LKW bis zum Bahnhof Buir. Von dort mit dem Zug Richtung Thüringen. Am 5. Dezember erreichten wir Sonneberg und wurden in der Ortschaft Oberlind in Behelfsbarracken "einquartiert".
Jedes Kind erhielt als Begrüßung einen Apfel und eine Apfelsine, es war ja der Vorabend zu Nikolaus. Mein Vater, der der "Partei" diente, musste uns wieder verlassen.
Deutsche Gründlichkeit: Anmeldung bei der Behörde, Teilnahme am täglichen Schulunterricht und Verpflichtung zu der "Hitler-Jugend" den "Pimpfen", wo Bruder Heinz an der Fanfare und ich an der Trommel ausgebildet wurden.
Da etliche Vettweißer Familien in der Region um Sonneberg evakuiert waren, entstand der Eindruck von "Mini-Vettweiß".
Dann das Kriegsende im April 1945, Sonneberg wurde amerikanische Zone. Ende des Monats sickerte durch, dass die Russen die Amerikaner ablösen würden. Dies war das Zeichen zum Aufbruch. Egal wie, einfach weg. Mit einem Pferdegespann, mit Sack und Pack, bis an die "Grenze". Von dort bis Coburg, in einer zerbombten Brauerei übernachtet, bis sich die Gelegenheit bot, mit der Eisenbahn wegzukommen. In Personenwagen, die Güterzügen angekoppelt waren und die überwiegend nachts fuhren. Morgens wurden die Personenwagen auf einem Bahnhof abgekoppelt, auf ein Abstellgleis geschoben um abends wieder im Schlepp eines Güterzuges die Fahrt fortzusetzen.
Aus Angst vor Überfällen durch Besatzer in der Dunkelheit, versteckten wir Schwägerin Maria hinter Kisten und unter der wenigen Bekleidung, die noch unser Eigen war. Bei dem "Treck" dabei, war auch Familie Peter Müller aus Vettweiß. Verpflegung gab es an verschiedenen Haltestationen durch das "Rote Kreuz". Eine wohltuende Situation ist mir besonders haften geblieben. Stillstand auf einem Bahnhof. Mutter Eva und Änne Müller konnten bei den Amerikanern einige Dosen „corned – beef“ erbetteln, welches neben dem Waggon über Feuer erwärmt wurde und zu einem Festmahl wie 2 mal Weihnachten gereichte.
Am 4. Mai 1945 erreichten wir glücklich Vettweiß. Vater geriet in Süddeutschland in amerikanische Gefangenschaft und wurde in ein Internierungslager nach Österreich nahe der Stadt Linz verbracht. Da Schriftwechsel mit ihm der Zensur unterlagen, erhielt meine Mutter irgendwie die Nachricht, dass Mathias Klösgen am 22. Oktober 1945 in einem Kriegsgefangenen-Lazarett verstorben und nahe Linz beerdigt worden sei.
Einen Monat lang konnten wir Kinder uns oftmals noch Brote und Geflügelfleisch, welches amerikanische Soldaten, die im Saale der Gaststätte Hülden einquartiert waren, in bereitstehenden Tonnen "entsorgten" aneignen. Es half den Hunger zu lindern. Auch hatten die Soldaten ihren Spaß, wenn sie angerauchte Zigaretten wegschnippten und das Gerangel der Kinder beim Aufsammeln beobachteten. Diese glücklichen Umstände waren aber nach gut einem Monat vorbei, die Amerikaner wurden von den Engländern abgelöst.
Der "Kampf" ums Überleben ging, wie für viele Mitbürger, in eine neue Runde. Erstmals galt es Schäden am Haus zu beseitigen. Zwei Geschosse eines Panzers, von den aus Richtung Soller anrückenden Amerikanern, waren in die Fassade eingeschlagen (heute Jägerpfad 5).
Ein Stück Garten wurde uns im Ziegelfeld zugeteilt. Über eine Verteilstelle Saatgut erhalten und als Selbstversorger den Garten bestellt, dies aber nur für eine Erntezeit. Es lohnte nicht. Je mehr gesät wurde um so mehr wurde, noch vor der eigentlichen Reife, gestohlen. Ersatzweise wurde uns ein Stück Land in der Gemarkung Miloch zugeteilt und vom Landwirt Wilhelm Christoffels (Fleppse Will) bearbeitet. Die Kartoffelernte war stets spärlich, andere Leute wollten auch leben, wogegen der Ertrag beim Korn deutlich besser ausfiel, wegen "Beitrag" von benachbarten Äckern. Als Gegenleistung für die Arbeit und das Saatgut des Landwirts wurden "Knolle jerötsch,“ Kartoffelkäfer abgesammelt und das Getreide mit eingebracht.
Als Kinder konnten wir aber erkennen, dass neuer Lebensmut bei allem Elend entstand. Neben lebenserhaltenden Maßnahmen hatten die Männer erkannt, dass für eine gewisse "geistige Fitness" in Form vom Schnapsbrennen gesorgt werden musste. An vielen Stellen im Ort wurde verbotener maßen "gebrannt", wie aus Gesprächen der Älteren herauszuhören war.
Das "Labor" meines Bruders Hans befand sich im Keller. Der Grundstoff Zuckerrüben auf den Feldern. Als Brenngefäße dienten hier Milchkannen, wobei nicht selten bei Überdruck die Verschlussdeckel unter großem Knall an die Decke gingen, wenn einmal mehr die Dichtung aus gekautem Brot brüchig wurde. Natürlich wurden unangemeldete und verschärfte Kontrollen durch die Besatzer und die Polizei, die langsam wieder "Fahrt" aufnahm, durchgeführt, wobei auch schon einmal Gerätschaften konfisziert wurden.
Harmloser waren die Kontrollen durch die Gemeindediener Bernhard Schmitz und Christian Rubel, der auch die Funktion des Waldhüters ausübte und von dem der Spruch: "Em Bösch kütt jeder für sich selver op" stammte. Beide hatten Verständnis und zogen bereitwillig ihren Nutzen, da sie ihre Kontrollgänge in der Regel hinter „vorgehaltener Hand“ ankündigten.
Ende November 1945 begann wieder der Schulbetrieb, diesmal in der Verwahrschule des Klosters. Im Jahr darauf Umzug in die von Kriegsschäden hergerichtete Schule an der heutigen Schulstraße, mit Schulentlassung im März 1948.
Danach arbeitete ich 1 Jahr als Helfer im Sägewerk von Matthias Esser und trat im Jahr 1949 bei der Dürener Firma Canzler eine Lehre als Schweißer an. 7 Jahre mit dem Fahrrad durch Wind und Wetter, an der Bahn entlang, zur Arbeit. Durch die Firma Canzler erhielt ich die Gelegenheit mich in Lehrgängen bei der Aachener Firma Tolbot zum Spezialschweißer, ein Beruf, der äußerst anspruchsvoll und nicht allzu verbreitert war, ausbilden zu lassen.
Im Jahre 1958 heiratete ich Erika Schreiner.
Von nun an "gings bergauf".
Nicht unerwähnt möchte ich lassen, dass wir im Jahre 2008 unsere Goldene - Hochzeit feiern konnten.
Ich hoffe, dass meine Erinnerungen dem Heimat- und Geschichtsverein Vettweiß zur Genüge reichen.
Mich jedenfalls hat die ganze Angelegenheit erfreut und so danke ich für die Bereitschaft die Erinnerungen in den Bestand des Geschichtsvereins aufnehmen zu wollen.