Mein Name ist Josef Engelbert Tesch und ich wurde am 17.04.1937 im Krankenhaus in Düren als ältester Sohn meiner Eltern Engelbert Tesch und Maria Ohrem geboren.
Mein jüngerer Bruder Wolfgang kam drei Jahre später zur Welt. Meine Mutter ist gebürtig aus Bochum und heiratete meinen Vater 1936 kirchlich in Vettweiß. Hier wohnten auch noch weitere Geschwister meiner Eltern und meine Großeltern. Mein Vater hatte noch sieben Geschwister und mein Großvater väterlicherseits war der Schuhmacher Josef Tesch.
In Düren wohnten wir in der Oberstraße 13 gegenüber der Annakirche, da wo das Blumenhaus Heinen war. Von meinem Vater habe ich durch den Krieg nicht viel gehabt. Er schrieb uns immer Briefe von der Ostfront. Allein im Juni 1944 kamen drei Briefe bei uns an, der letzte ist datiert vom 24.06.1944. Danach haben wir nichts mehr von ihm gehört.
Meine Mutter hat dann über das Rote Kreuz einen Suchantrag nach ihm gestellt. Erst am 11.06.1976 erreichte uns deren Gutachten. Hiernach führten die Nachforschungen zu dem Schluss, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit am 26. Juli 1944 bei den Kämpfen im Raum 25 Kilometer westlich von Brest-Litowsk zwischen den Orten Rokitno und Husinka gefallen und verschollen ist.
2. Erlebnisse vor dem Bombenangriff auf Vettweiß
Als der Krieg 1939 ausbrach war ich erst zwei Jahre alt und zum Ende des Krieges war ich sieben Jahre alt. Aus diesem Grunde habe ich alle Geschehnisse nur als Kind erlebt und kann deshalb die zeitliche Aufeinanderfolge nicht immer richtig in allen Einzelheiten heute wiedergeben.
Mein Vater war gelernter Lagerverwalter und wurde in der Dürener Julius-Riemann-Kaserne gemustert. Riemann war - wie ich später erfuhr - ein preußischer General und zuletzt General der Infanterie im I. Weltkrieg. Anlässlich der Musterung wurden wir mit der Familie auch eingeladen. Auf Grund der Ausbildung zum Lagerverwalter wurde mein Vater zu den Pionieren eingeteilt und war anfangs für den Nachschub in der Militärküche zuständig.
Irgendwann 1943 schrieb er dann einen Brief, in dem er mitteilte, dass ein Angriff auf Düren geplant sei. Dieser Angriff erfolgte dann jedoch nicht. Auf Grund der möglichen bevorstehenden Gefahr entschloss sich meine Mutter dann, mit mir und meinem Bruder nach Vettweiß zu ziehen, wo ja die Verwandten meines Vaters und auch meine Großmutter Emilie Ohrem wohnten.
Unsere erste Wohnung in Vettweiß hatten wir rechts neben der heutigen Gaststätte Hülden. In dem Haus war später dann das Bürgermeisteramt drin. Meine Kindergartenzeit verbrachte ich rechts neben diesem Haus im sogenannten Kloster. Der Kindergarten wurde von kirchlichen Schwestern geführt. In der Schulstraße ging ich dann in die Volksschule und hatte also nicht weit dorthin zu gehen. Meine Mutter, mein Bruder Wolfgang und ich haben den Angriff auf Vettweiß hier miterlebt.
In unserem Wohnhaus neben Hülden hatten die Pioniere unten im Erdgeschoss eine Schreibstube eingerichtet. Der Pionierpark selbst lag hinter der Bahnlinie in Richtung Gladbach auf der rechten Seite. Für uns Jungen war das anfangs immer eine spannende Sache und durch die in unserem Hause befindliche Schreibstube hatten wir meistens schneller Neuigkeiten über die Kriegsentwicklung. Wo der heutige Bauhof ist, befand sich früher ein mit Wasser gefülltes Feuerlöschbecken, in dem wir das Schwimmen gelernt haben. Der Pionierpark in Vettweiß hielt sich bis zum Angriff am 30.11.1944. Danach sind die Soldaten nach Weilerswist verlagert worden.
Noch vor dem eigentlichen Angriff gab es öfters Fliegeralarm. Die Bewohner des Unterdorfes waren immer der Meinung, dass man im Unterdorf gefährlicher lebte. Man ging davon aus, dass der Bahnhof und die Bahnlinie Angriffsziele sein würden. Folglich zog es alle vom Unterdorf ins Oberdorf, was dann ja am Angriffstag für viele tödliche Folgen haben sollte.
Bei solchen Fliegeralarmen sind wir meistens bis in den Bereich Gereonstraße/Küchengasse gelaufen. Gegenüber dem heutigen Haus Wüffel wohnte meine Oma Emilie Ohrem. Nach einem Blick in das Telefonbuch könnte das dort gewesen sein, wo jetzt die Haus-Nr. 23 angebracht ist.
Meine Oma ist 1877 in Mülheim a. d. Ruhr geboren und vermählte sich 1898 mit Peter Ohrem. Aus dieser Ehe gingen fünf Söhne und vier Töchter hervor. Ein Sohn von ihr war Priester.
Im vorgenannten Bereich Gereonstraße/Ecke Küchengasse ging im Rahmen des Bombenangriffs vom 30.11.1944 eine Luftmine zu Boden. Wir lagen auf der Seite der Gereonstraße, die zum heutigen Ulmenweg hin gelegen ist, an einem Fachwerkhaus auf dem Boden. Das ganze Fachwerkhaus hatte sich durch den hohen Luftdruck um mindestens 30 cm vom Boden hochgehoben. Wir konnten unten ganz durchsehen und ich kann mich daran erinnern, dass meine Mutter ein Küchenmesser in der Hand hielt, das später weiter hinten im Garten gefunden wurde.
Alle neben dem Fachwerkhaus gelegenen Steinhäuser waren durch den Aufprall der Luftmine eingefallen, nur das Fachwerk blieb erhalten. Am Fachwerkhaus waren nur die Scheiben kaputt und es fehlten einige Dachziegel.
Nach dem erfolgten Angriff sind wir zum Pionierpark gegangen und haben dort einen Bunker aufgesucht. Zu dem Zeitpunkt waren die Pioniere noch alle anwesend. Zu ihnen gehörte auch der mir erst später bekannt gewordene Paul Siemen, der nach dem Krieg eine Schwester meines Vaters geheiratet hat. Nach meinem Kenntnisstand war Paul Siemen einer der wenigen Soldaten vom Pionierpark Vettweiß, die auch nach dem Krieg hier ansässig wurden.
Einschub des Unterzeichners aus Erzählungen des Paul Siemen:
Er wurde am 01.09.1939 als 20-Jähriger zum Militär eingezogen und gelangte zunächst zu den Pionieren nach Minden, wo er auch die Führerscheine der Klassen I - III und für Kettenfahrzeuge erwarb. Nach kurzem Einsatz in Ostpreußen 1940 gelangte er 1941 zum Pionierpark in Vettweiß. Wie er selbst Unterzeichner berichtete, war er Meldefahrer (Kradmelder) vom Kommandeur Lettow und fuhr oft die Strecken Vettweiß-Köln-Vettweiß mit seinem Motorrad „Martha“ wie er es nannte. Hierdurch lernte er später seine Ehefrau Anna Maria Tesch kennen.
Fotos von Hans Theo Pütz: Paul Siemen als Kradmelder im Pionierpark Vettweiß
Ich kann mich noch an zwei Landser mit den Namen Oscar und Erwin aus dem Pionierpark erinnern. Sie transportierten vom Pionierpark aus immer Essen zur Front, die in Richtung Westen gelegen war. Zu dieser Zeit hatten wir hinsichtlich der Verpflegung Glück. Wie ja bereits erwähnt - lag die Schreibstube für den Pionierpark in unserem Hause. Dadurch gab es für uns nach der Schule auch immer etwas extra.
Als der Angriff auf Düren am 16.11.1944 erfolgte, war ich im Pionierpark auf einem Aussichtsturm. Die Soldaten standen mit Ferngläsern in der Hand neben mir und konnten die schrecklichen Dinge in der Luft beobachten. Nach dem Ende des Angriffs in Düren sind sie dann ebenfalls dorthin und sollten nachschauen, ob sie irgendwie helfen könnten. Spätestens in dem Moment wurde uns bewusst, wie gut wir daran getan hatten, die Dürener Wohnung aufzugeben und nach Vettweiß zu ziehen. Wir wären mit Sicherheit zu Tode gekommen.
Nachdem die Pioniere von Düren wieder nach Vettweiß kamen, spielten sich schreckliche Dinge ab, die man auch als Kind nicht so leicht vergisst. Die Soldaten erzählten mit Tränen in den Augen, was sie dort alles gesehen hatten. Ein Durchkommen mit Fahrzeugen in der Stadt war wohl überhaupt nicht möglich. In den Bäumen hätten Tote gehangen. Auf der Rückfahrt brachten sie Verletzte mit, die nach Froitzheim zum Lazarett und Verbandsplatz gebracht wurden.
3. Geschehnisse beim Bombenangriff am 30.11.1944
Ich kriege die Geschichte jetzt zeitlich nicht in die richtige Reihenfolge. Es geht jedenfalls um die Rückkehr in unser Haus neben Hülden nach dem Angriff in Vettweiß. Wir waren überrascht, dass an unserem Haus nicht viel kaputt gegangen war. Meine Mutter wollte jedoch zuerst alleine in unserem Haus nachschauen, ob sie mit uns wieder dort hinein gehen konnte. Dann stellte sie entsetzt fest, dass im Schlafzimmer auf dem Bett eine nicht explodierte kleine Bombe lag. Wie sich später ergab, handelte es sich um eine Brandbombe.
Meine Mutter hat dann im Pionierpark um Hilfe ersucht wegen der Entsorgung der wohl immer noch gefährlichen Bombe im Schlafzimmer. Ein Oberleutnant Menzel kam dann zu unserem Haus und verlangte nach Inaugenscheinnahme der Bombe nach einer Schaufel, um die Bombe aus dem Haus zu transportieren. Wir Kinder und meine Mutter mussten uns hinter dem heute noch gegenüber befindlichen großen Steinkreuz an der Gemeindeverwaltung in Sicherheit bringen.
An die Größe und das Gewicht der Bombe kann ich mich nicht erinnern, sie muss jedoch nicht sehr groß gewesen sein, denn sonst hätte der Soldat sie nicht mit einer Schaufel bergen können. Jedenfalls hörten wir plötzlich einen lauten Knall und sahen danach, dass der Oberleutnant Menzel wohl die Bombe mit der Schaufel aus dem Fenster geworfen haben muss. Sie explodierte im Vorgarten des Hauses und weder Baum noch Strauch waren durch die Explosion zu sehen.
Zum besseren Verständnis muss ich hier noch einfügen, dass mein Vater uns in dem Haus im Keller während eines Heimaturlaubs eine Kiste gezimmert hatte, wo wir drauf schlafen konnten, wenn unruhige Nächte zu erwarten waren.
In dem Zusammenhang fällt mir ein, dass auch einmal eine sogenannte V 1-Rakete hinter unserem Haus hinter dem Wohnhaus Pick eingeschlagen ist. Es handelte sich um Langstreckenraketen, die als Marschflugkörper für Angriffe auf Antwerpen in Belgien und auf London gedacht waren. Sie wurden wohl im Juni 1944 erstmals eingesetzt und waren zuvor in Peenemünde getestet worden.
Da die Flugkörper noch nicht ganz ausgereift waren, kam es wohl auch zu „Frühabstürzen“. Sie wurden auf Startrampen in Rheinbreitbach, Bruchhausen und in der Nähe von Siegburg abgeschossen. Es kann also durchaus sein, dass es sich bei dem Vorkommnis hinter unserem Haus um einen solchen Frühabsturz gehandelt hat. Das ist mir nicht mehr so genau erinnerlich.
Jedenfalls nach dem Explodieren dieser vermeintlichen „V 1-Rakete“, die ja hinter dem Haus Pick im Feld niedergegangen war, lief eine feurige Flüssigkeit über den Boden bis hin zu unserem Haus und drang ins Kellergeschoss ein. Dort wo die Flüssigkeit gelaufen war, blieb nichts mehr ganz. Aus Erzählungen von Soldaten des Pionierparks war zu entnehmen, dass diese V 1 vermutlich in Siegburg abgeschossen worden war.
Wie ich ja schon einmal erwähnte, waren wir als Jungen viel im Pionierpark unterwegs. Irgendwann wurden dort sechs sogenannte Schwimmwagen abgeladen, die an die Westfront verbracht werden sollten. Vermutlich waren sie für den Bereich am Rursee vorgesehen. Sie kamen beim Transport dahin nur etwa bis zum Waldgebiet zwischen Froitzheim und Vettweiß. Nach Angaben der Soldaten liefen die ganzen Flüssigkeiten aus den Kugellagern heraus. Oberleutnant Menzel erklärte daraufhin, dass es sich hierbei um Sabotageakte gehandelt haben soll. Die Verursacher der Sabotage seien standrechtlich erschossen worden.
Über ein weiteres Ereignis kann ich berichten, dass sich sonntags abgespielt hat. Wenn Ruhe eingekehrt war, trafen sich viele Ortsbewohner an Sonntagen an der Grotte im Wald. Unsere ganze Verwandtschaft war bereits dort versammelt, als meine Mutter sich mit uns beiden auf den Weg dorthin machte. Wir wurden von einem einzelnen Flugzeug angegriffen und waren durch unsere einheitliche weiße Kleidung auch gut zu sehen.
Gottseidank waren am Griesbach Kanalrohre verlegt und es gelang uns noch gerade, in die Rohre zu kriechen bevor das Flugzeug nach einer erneuten Schleife wieder zu uns zurückkehrte. Zu dieser Zeit war auch der gesamte Wald Richtung Froitzheim voller Soldaten, die für Nachschub zur Front sorgten. Was aus dem eben genannten Flugzeug wurde, kann ich nicht mehr sagen. Ich glaube aber, dass es dann unverrichteter Dinge wieder Richtung Nordwesten abzog und nicht von Bodentruppen beschossen wurde.
Es ist schade, dass ich nicht alles in der richtigen Zeitabfolge wiedergeben kann. Aber als Kind mit sieben Jahren kann man einschneidende Ereignisse besser behalten als die genauen Tage. Aber wie auch immer, ich möchte Euch im HGV die Dinge nicht vorenthalten.
Ich muss nochmals zum Wohnhaus meiner Oma Emilie Ohrem zurückkehren. In der dortigen Scheune stand ein Meldewagen, der natürlich über Funk verfügte. Er war für feindliche Flieger vermutlich deshalb sehr gut auszumachen und wurde auch tatsächlich von einem Flugzeug bombardiert. Fragt mich jetzt aber nicht, ob das am Bombardierungstag 30.11.1944 geschah oder früher.
Bei einem Fliegeralarm wurde von unserer Flakstellung ein feindliches Flugzeug abgeschossen. Wir waren gerade im Kindergarten, als das Flugzeug zwischen Gasthof Hülden und dem Schwarzen Weg abgeschossen wurde. Der Pilot hat das offenbar überlebt und konnte sich mit einem Fallschirm retten. Wir Kinder liefen natürlich dorthin und konnten den Piloten sehen. Er war wohl Engländer, nach der geglückten Landung griff er in seine Brusttasche und holte für sich ein Stück Schokolade heraus. Wir standen staunend in seiner Nähe und erhielten von ihm auch Schokolade. Danach zündete er sich eine Zigarette an. Mittlerweile waren in der Nähe auf dem Feld auch noch weitere Fallschirme runter gekommen.
Der Pilot mit der Schokolade wurde dann in meiner Gegenwart im Pionierpark richtig zusammengeschlagen, unnötig hart wie ich heute meine. Er und auch all seine Kameraden wurden dann in Gefangenschaft genommen.
Zum Thema Fliegeralarm kann ich noch folgendes ergänzen. Der Alarm an sich war nach damaliger Auffassung nicht so schlimm, weil man Zeit hatte, sich schnell in Sicherheit zu bringen. Schlimmer waren eigentlich die Artilleriebeschüsse aus Richtung Froitzheim, weil es davor keine Warnung gab, sie schlugen schnell ein und trafen uns dann unvorbereitet.
Die Vettweißer Pioniere hatten am Kloster zur Tarnung die Fahrzeuge stehen. Man wollte sie nicht offen am Gelände des Pionierparks abstellen. Das war für uns Jungs natürlich eine spannende Sache. Wir konnten uns in die offenen Jeeps setzen und an den Knöpfen und Hebeln spielen. Einmal konnten wir sogar einen Jeep ankriegen und fuhren furchtlos damit los. Als die Landser das schließlich bemerkten, haben sie uns richtig die Ohren lang gezogen. Ich glaube Mutter hat mir dann danach auch noch ein paar gelangt.
Der Pionierpark hatte neben der Frontversorgung auch die Aufgabe, defekte Fahrzeuge wieder zu reparieren. So wurde u.a. auch mal eine Kuh angeschossen, die dann für die Verpflegung im Felde benötigt wurde. Zum Bahnhof und der Bahnstrecke kann man sagen, dass der Vettweißer Bahnhof einer der letzten funktionstüchtigen Bahnhöfe im Kreis war. Deshalb erfolgte der Nachschub für die Front in Hürtgenwald auch ausschließlich über Vettweiß.
Zu meinem Lehrpersonal vor dem Krieg befragt, kann ich die allseits bekannte Frau Mang und den Lehrer Capellmann benennen. Frau Mang hat uns sogar noch im Keller der Schule während eines Fliegeralarms beschult. Von ihr habe ich dort den Umgang mit römischen Zahlen gelernt. Ich meine damit die Schule in der Schulstraße gegenüber vom Tierarzt Lüssem.
Auch dieser Name weckt bei mir Erinnerungen, weil er für die Musterung von Pferden zuständig war. Hier wurde ausgesondert, welche Pferde für die Front geeignet waren und welche nicht. Ich glaube, dass die tauglichen Tiere eine Brandmarke erhielten. Hunde wurden ebenfalls von ihm begutachtet. So kann ich mich noch an den Bauunternehmer Franz Junkersdorf erinnern, der seinen Hund vorführen sollte. Er wollte das aber nicht.
Bei diesem Vorgang war die sogenannte Stockprobe üblich. Man schlug mit einem Stock auf den Tisch und wollte damit feststellen, wie die Hunde sich beindrucken ließen. Wenn der Hund aufsprang und weglief, war er nicht geeignet. Für geeignet befundene Hunde mussten sich ruhig verhalten. Ich weiß nun nicht genau den Ablauf der Probe beim Hund von Ohm Junkersdorf. Ich vermute, dass der Tierarzt ihm den Hund belassen wollte und trat dem unter dem Tisch liegenden Hund auf den Schwanz. Dies brachte den Hund natürlich aus der Ruhe und er lief weg. Er war somit nicht geeignet und Ohm Junkersdorf konnte sein Tier behalten, es war also vermutlich eine abgekartete Sache zwischen den beiden.
4. Beginn der Evakuierung
Meine Erinnerungen nähern sich nun langsam an den Tag, an dem wir uns in die Evakuierung begaben. Die Front rückte immer näher und ganz Vettweiß sollte weg. Es waren nach meiner Kenntnis vielleicht noch ca. 40 Personen im Ort verblieben. Meine Mutter wollte eigentlich hier bleiben, das Loch im Keller war ja repariert. Oberleutnant Menzel kam mit einem Landser und einem Fahrzeug zu uns. Er überredete uns zum Einsteigen und meine Mutter willigte schließlich ein. Sie nahm allerdings ihre Nähmaschine mit auf das Fahrzeug.
Nun ging die Fahrt bis nach Horrem zum Bahnhof, unsere Oma war schon längst aus Vettweiß geflohen. In Horrem trafen wir dann auch noch andere Vettweißer. Meine Mutter sprach mit einem Herrn Jordan, der seine Familie bereits in Sicherheit gebracht hatte. Uns ließ er einfach stehen. Wieder einmal war es Oberleutnant Menzel, der uns half, denn er sorgte dafür, dass wir doch noch auf den Zug konnten. Wie wir dann später im Zug erfuhren, sollte die Fahrt in den Osten nach Thüringen führen.
Auch diese Fahrt war mit Hindernissen und Angst versehen. Ständig gab es während der Fahrt Fliegeralarm und es ging raus und rein in den Zug. Wir hatten mittlerweile Dezember und es war in diesem Jahr bitter kalt. Irgendwann wurde unsere Lok abgehängt, weil sie einen Militärtransport fahren sollte. Also standen wir vor Ort still und waren ohne Zugheizung. Schließlich kam Ersatz und es ging weiter nach Sonneberg.
Im Zug befand sich auch die Familie Binz und ihr fehlte plötzlich ein Kind. Als wir in Sonneberg ankamen, sind einige zurück entlang der Bahnlinie und haben nach dem Kind Ausschau gehalten. Es konnte auch gefunden werden, war aber leider tot und ist vermutlich der eisigen Kälte zum Opfer gefallen. Hier trafen wir dann auf Tante Leni, eine Schwester meiner Mutter und Oma Emilie war auch schon dort.
Aus irgendeinem Grund konnten wir wegen Oma nicht in Sonneberg bleiben und mussten weiter nach Truckenthal. Das ist ein Ortsteil von Schalkau im Landkreis Sonneberg in Thüringen. Hier haben wir dann nach dem Bürgermeister gerufen. Wir waren sicher nicht willkommen dort, wir waren für die Einheimischen ja Fremde, die ihnen einfach ins Haus gesetzt wurden.
Da der Bürgermeister nicht sofort kam, haben wir eine Nacht in eisiger Kälte draußen unter einem Torbogen eines Hauses verbracht. Morgens sind wir dann wieder zum Bürgermeister gegangen, wo meine Mutter dann Rabatz gemacht hat. Den Ort kann man mit der Größe von Kettenheim vergleichen. Dort gab es eine Wirtschaft mit einem Saal. Hier konnten wir schließlich bleiben. Der Saal war mit einem Kanonenofen und ein paar Holzbetten und Stühlen ausgestattet. Die dort befindlichen verschiebbaren Bühnenwände haben meine Mutter und ich dann so hingeschoben, dass wir uns daraus einen halbwegs abgetrennten Raum machen konnten. Auf Frage kann ich angeben, dass sich die Nähmaschine meiner Mutter ebenfalls noch dort befand.
Im Ort lernten wir eine Frau Rosa Mahr kennen, die überall dort aus mir nicht bekannten Gründen verschrien war. Sie konnte uns offenbar gut leiden und gab uns nützliche Tipps, wo wir im Wald Holz finden konnten. Wir hatten nichts zu essen und lebten von Brennnesseln, die wir als Suppe herrichten konnten. Von der Wirtin der Wirtschaft kriegten wir nichts.
Frau Mahr erklärte uns auch, wo wir Waldbeeren finden könnten. Sämtliche Rezepte dort erhielten wir von dieser Frau. Langsam aber sicher näherten wir uns Weihnachten 1944. Mittlerweile kamen deutsche Soldaten aus Richtung Osten von der dortigen Front zurück und wollten Wasser haben. Seltsamerweise riefen die ortsansässigen Frauen ihnen zu, sie sollten wieder zurück, um die Front aufzuhalten. Das habe ich nicht verstanden, wie man so gegen die eigenen Soldaten vorgehen konnte.
Wenig später änderte sich das Szenario und es waren russische Soldaten in unserem Ort angekommen. Hier liefen die Frauen den Soldaten mit beladenen Schürzen voller Lebensmittel entgegen. Es handelte sich wohl um Eier und andere Lebensmittel, um sie zu beschwichtigen.
Danach gab es eine helle Aufregung, da alle Frauen zusammengetrommelt wurden, weil sie nach Schalkau gehen sollten, um dort eine Kaserne zu säubern, damit die Russen dort einziehen konnten. Oma saß im Rollstuhl und hatte sich mit einem Stock bewaffnet und demonstrativ den Russen in den Weg gestellt. Einer der Russen konnte zum Glück die deutsche Sprache verstehen. Zu dem Zeitpunkt wusste sie noch nicht, dass sie nach Schalkau zur Säuberung sollten. Der Russe hat ihr dann wohl glaubhaft versichert, dass alle unversehrt zurück gelangen würden. Dann war sie offenbar beruhigt.
Unser Speiseplan stellte uns weiterhin auf eine harte Probe. Es gab von den Russen einen Eimer mit „Kascha“. Das war wohl eine Buchweizengrütze, die sehr fettig war und mit Butter und Wasser angerichtet wurde. Wir fielen darüber her und die Folge war anschließend, dass wir alle Durchfall bekamen.
Irgendwann kam das Gerücht auf, dass mein Vater in Neuhaus nach uns gefragt hatte. Wir sind dorthin, um uns danach zu erkundigen. Es hat sich aber als falsch herausgestellt und wir erfuhren, dass es einen weiteren Ort Neuhaus gebe. Auch da sind wir gewesen und haben nichts in Erfahrung bringen können.
Von Truckenthal mussten wir bis nach Schalkau einkaufen gehen und es war in diesem Winter richtig kalt. So wurde ich zum Einkaufen von Brot geschickt und hatte ungefähr eine Strecke von fünf Kilometer für eine Tour zu bewältigen. Auf dem Rückweg wurde es mir richtig schlecht und ich wurde ohnmächtig. Eine ältere Frau hat mich gefunden und mit warmen Tüchern versorgt, damit ich überhaupt wieder zu mir kam. Sie hat mir quasi dadurch das Leben gerettet. Meine Mutter hat mich dann im weiteren Verlauf abgeholt, das Brot hatte ich immer noch bei mir.
An Josef Paulus aus Vettweiß kann ich mich auch noch gut erinnern, der irgendwann mit einem oder zwei weiteren Kollegen kurz bei uns war. Die haben Kartoffeln „besorgt“ und jeder wusste nun, dass wir uns kannten. Sie waren auf uns ohnehin nicht gut zu sprechen. Dieses Ereignis war aber schon nach dem Zusammenbruch und wenig später ist er dann allein in Richtung Heimat.
Insgesamt war es die Zeit der Truppenbewegungen, die Deutschen kamen aus Richtung Osten von der Front zurück, danach kamen die Amerikaner und es kam zu einer erneuten Grenzänderung, als die Russen diesen Bereich übernahmen. Die meisten Flüchtlinge aus unserer Gegend hatten sich schon verdrückt in Richtung Heimat. Wir blieben noch etwas länger, weil wir mit dem Rollstuhl von Oma nicht so beweglich waren.
Wir erhielten von den Heimreisenden drei goldene Uhren mit dem Hintergedanken, dass wir sie als Tauschobjekt gebrauchen könnten. Es war bekannt, dass die Russen diese und auch Fahrräder haben wollten, obwohl sie anfangs noch nicht damit umgehen konnten. Zu unserer Nähmaschine befragt, kann ich angeben, dass meine Mutter sie mitgenommen hat, weil sie der Meinung war, dass sie sich damit etwas Geld zum Leben verdienen könnte. Wir haben sie vor Antritt der Heimreise direkt in der Nähe der Grenze zwischen amerikanischem und russischem Bereich bei einem Bauern deponiert. Viel später haben wir sie beim Besuch unserer Gastgeber mit den Eheleuten Holz nach Hause geholt. Erst vor wenigen Wochen haben wir im Trittbrett der Nähmaschine versteckt die drei letzten Feldpostbriefe meines Vaters vom Juni 1944 gefunden.
Unser Konvoi bestand insgesamt aus fünf Personen: Meine Mutter, mein Bruder, meine Oma, Tante Leni und deren Tochter Milli. Wir waren die einzigen von der Familie Tesch in Truckenthal, alle anderen befanden sich in der Umgebung von Neuhaus am Rennsteig. Für uns wurde es nun langsam Zeit, in Richtung Heimat aufzubrechen. Da die Russen schon in einer Kneipe im Ort verkehrten, sprach meine Mutter einen an und hat mit ihm verhandelt, dass er drei Uhren bekäme, wenn er uns am Schlagbaum über die Grenze ließe. Er willigte ein und gab vor, dass wir um 20.00 h dort sein sollten. Er hatte den ganzen Arm schon voller Uhren und hat unsere drei auch noch dort befestigt.
Wir hatten uns schon so eine Art Heuwagen besorgt, auf dem wir unser Hab und Gut transportieren wollten und erreichten vereinbarungsgemäß den Schlagbaum, der sich auch nach Übergabe der Uhren an den Russen für uns öffnete. Hinter der Schranke befanden wir uns in einer Art Niemandsland und wir mussten nach ca. 3 km anhalten, weil quer über der Straße ein dicker Baum lag. Wie sollten wir mit dem Handwagen und dem Rollstuhl über das Hindernis gelangen? Zu allem Überfluss war das letzte Stück vor dem Baumstamm sehr steil und wir konnten den Heuwagen nicht rechtzeitig abbremsen, so dass er mit dem Vorderteil auf den Baum prallte, dabei brach dann vorne ein Rad ab.
Durch den entstandenen Lärm wurden in der Nähe befindliche Russen hellhörig und kamen mit Gewehren und aufgepflanztem Bajonett zu uns gelaufen. Mit den Spitzen der Gewehre stocherten sie in unserem Handwagen rum. Meine Mutter saß auf dem Baumstamm und weinte. Oma Emilie war aber wie immer voll da und befahl mir, sie mit dem Rollstuhl zu dem russischen Wortführer zu schieben. Mit ihrem Stock versetzte sie ihm einen Hieb und fragte ihn, ob er keine „Mattka“ (Bezeichnung für Ehefrau) zu Hause habe. Der war dadurch so verdutzt, dass er innehielt.
Auf Grund des neuerlichen Lärms waren auch die Amerikaner auf der anderen Seite des Baumes auf uns aufmerksam geworden und kamen mit vollen Scheinwerferlichtern in einem größeren Jeep auf uns zugefahren. Sie hatten wohl gesehen, dass Oma dem Russen einen Schlag versetzt hatte und einer zog sicherheitshalber seine Pistole. Jetzt war zunächst Ruhe und irgendwie einigten wir uns und mit vereinten Kräften hoben wir unseren Wagen über den Baum. Die Amerikaner hoben vorne hoch und die Russen hinten. Genauso wurde mit Oma verfahren, sie wurde im Rollstuhl sitzend über den Baumstamm gehoben.
Wegen dem abgebrochenen Rad haben uns die Amerikaner aber noch weiter geholfen und befestigten das Vorderteil unseres Wagens hinten am Jeep und die Heckachse rollte so hinter dem Jeep über die Straße. Schließlich gelangten wir an einen Bauernhof, dessen Adresse wir vorher hatten, weil sich hier meistens alle Heimkehrer sammelten. Fahrer des amerikanischen Jeeps war übrigens ein dunkelhäutiger Soldat, der war in Ordnung und suchte nach Schokolade für uns. Das hört sich nun relativ harmlos an, doch wenn Oma Emilie nicht so couragiert vorgegangen wäre, wären wir bestimmt in russische Gefangenschaft geraten.
Bei der Ankunft am Bauernhof war es Nacht, die Bewohner saßen alle aus Angst im Dunkeln. Meine Mutter hat dann gerufen und gesagt, dass wir auf der Heimreise wären. Dann öffnete sich ein Fenster und mit den Scheinwerfern des Jeeps konnten wir einen Mann erkennen. Sie haben uns dann rein gelassen. Oma hat natürlich nicht locker gelassen und den Jeep Fahrer gefragt, ob er uns nicht morgen in der Frühe mit einem Lkw nach Coburg zum Bahnhof fahren könne. Er hat dann Oma auf die Schulter geklopft und etwas gesagt, was wir aber nicht verstanden haben. Der Mann im Fenster konnte das aber und erklärte auf Befragung von Oma, dass der Soldat von dem Jeep morgen wieder kommen werde. Die Nacht über verbrachten wir dann im Wohnzimmer auf dem Boden. Am anderen Morgen kam der dunkelhäutige Amerikaner tatsächlich mit einem riesigen Lkw und hat uns samt Gepäck und Rollstuhl aufgenommen und zum Coburger Bahnhof gebracht.
Dieser war kriegsbedingt nicht auf dem neuesten Stand, wir durften aber die Nacht auf dem Pissoir verbringen und dort schlafen. Hier gehörte alles den amerikanischen Besatzungsmächten. Am nächsten Tag konnten wir dann auf einen offenen Güterzug mit aufsteigen, der überwiegend mit Schülern aus Aachen besetzt war. Die Jugend war fröhlich und machte Musik, so dass uns die Fahrt bis Köln-Deutz nicht langweilig wurde und die Heimat in greifbare Nähe rückte. In Köln erwartete uns ein neues Problem, denn hier waren alle Brücken gesprengt worden. Wie sollten wir also rüber kommen?
Zum Glück stießen wir dort auf einen Urkölner, der mit eine Art Kramladen am Rheinufer stand. Er hatte eine gefüllte Karre hinter ein Pferd gespannt und verkaufte daraus allerlei Krimskrams. Im Gespräch ließen wir anklingen, dass wir gerne auf die andere Rheinseite wollten. Er sicherte uns den Transport zu, allerdings wollte er erst seine Sachen verkaufen. Schließlich gelang es uns, mit seiner Hilfe über die Pontonbrücke den Rhein zu überqueren. Sie war ungefähr an der Stelle, wo heute die Eisenbahnbrücke ist.
Da keine Züge direkt Richtung Vettweiß fuhren, mussten wir mit geschlossenen Güterzügen bis Bonn und von dort dann weiter über Euskirchen und Zülpich. Hier trafen wir auf den Vater der Brüder Franz und Matthias Ink aus Vettweiß, der bei der Bahn Schaffner war und uns natürlich kannte. Wir durften dank seiner Hilfe sogar im Packwagen Platz nehmen und Oma wurde mit ihrem Rollstuhl angebunden, damit sie während der Fahrt nicht zu Fall kam.
In der Nähe von Rheinbach wurden Säcke mit Kartoffeln eingeladen in den Zug und die Gänge waren zunächst damit zugestellt. Anton Ink sagte nichts dazu und hatte schon einen Plan im Kopf. Damit wir in Vettweiß aussteigen konnten, mussten einige Säcke zuerst ausgeladen werden, damit wir überhaupt raus konnten. Das war offensichtlich so die Absicht von Herrn Ink, denn er gab mit seiner Pfeife dann schnell das Signal zum Weiterfahren. Wo die anderen Säcke abgeliefert werden sollten kann ich nicht sagen.
Während Mutter bei Oma und den Säcken blieb, sollte ich in der Soller Gasse bei Franz Junkersdorf Mitteilung machen, dass wir in Vettweiß angekommen waren. Die haben uns dann geholfen, unsere Sachen und die Kartoffelsäcke nach Hause zu bringen. Unsere erste Wohnung haben wir bei Resi Schneider gehabt, das war das damalige Geschäft Schneider an der heutigen Ecke Kuhweg/Jagdrain. Die zweite Wohnung hatten wir dann in der Krautfabrik. Danach wechselten wir in das Haus Vandersmissen, wo wir vorher auch schon einmal gewohnt hatten und die Schreibstube der Pioniere drin war. Frau Vandersmissen war eine Luxemburgerin.
Für mich begann dann wieder geregelter Schulunterricht. Im Nachhinein können wir überhaupt froh sein, den Kriegswirren entkommen zu sein, hatten wir doch durch den Tod des Vaters genug Elend kennengelernt. Das schlimmste Ereignis kam jedoch noch nach dem Krieg für uns, weil wir irgendwann meinen Vater für tot erklären lassen mussten. Nach dem Verschollenheitsgesetz können Kriegsteilnehmer in der Regel ein Jahr nach Friedensschluss für tot erklärt werden. Das war u.a. für die Beantragung der Renten wichtig.
Familie Engelbert und Maria Tesch geb. Ohrem, mit Josef Engelbert und Wolfgang Tesch. Es war der letzte Heimaturlaub des Vaters, Ostern 1944.
Zu meiner Person wäre noch anzufügen, dass ich nach dem Schulabschluss eine Lehre als Maschinenschlosser absolviert habe und später als Feuerwehrmann auf dem Fliegerhorst in Nörvenich tätig war und von dort aus auch in Rente gegangen bin.