Als drittes von sechs Kindern der Eheleute Heinrich Steffens und Magdalena, geb. Schmitz, wurde ich, Heinrich Josef, am 08.12.1934 in Kelz geboren.
Ab dem vierten Lebensjahr besuchte ich den Kindergarten im Kloster, der von Nonnen geleitet wurde, bis ich 1941 in die Volksschule in Kelz aufgenommen wurde.
Zu diesem Zeitpunkt dauerte der Krieg schon über 18 Monate. In den Jahren 1942-1943 wurde es durch feindliche Flugzeuge in unserer Region immer unruhiger. Zu dieser Zeit trug ich eine Zeitung aus, den Westdeutschen Beobachter. Eine Parteizeitung der “Nazis“ von der übelsten Sorte. In manchen Häusern musste ich wieder vor die Tür gehen um nochmals eintreten zu dürfen. Ich hatte den Hitlergruß einfach vergessen zu zeigen.
Fast täglich gab es drei- bis viermal Fliegeralarm und wir Schüler mussten deshalb oft während des Unterrichtes in den Luftschutzkeller flüchten. Da es in Kelz aber nur wenige Luftschutzräume gab, bauten sich viele Bewohner kleine Bunker in ihren Gärten. Wir hatten auch einen. Oder sie suchten den ersten Straßenbunker auf, der an der Straße nach Vettweiß gelegen war. Es waren dort insgesamt drei Bunker errichtet worden. Den ersten Bunker haben wir Kinder im Winter als Rodelberg benutzt, denn in Kelz gab es keinen Hügel zum Rodeln, da kam die Bunkeraufschüttung sehr gelegen.
Ab Juli 1944 wurde der Unterricht in den Schulen verboten. Wir Kinder hatten nun viel Zeit zum Spielen und zum Toben. Zu dieser Zeit wurde ein feindlicher Bomber abgeschossen, der in Nähe zur Dreifaltigkeitskapelle zerschellte. Am nächsten Tag machten wir Kinder uns auf den Weg dorthin, konnten aber nicht lange bleiben, denn es kamen immer Tiefflieger, weshalb wir stets in Deckung gehen mussten. Das geschah recht schnell, denn an beiden Seiten der Straße waren Gräben von 1 m Tiefe ausgehoben. Dort sprangen wir hinein, um Schutz zu suchen. Auch die Bauern waren in großer Bedrängnis, wenn die Tiefflieger im Anflug waren. Sie konnten ihre Arbeit nicht fortsetzen und suchten Schutz unter ihren Karren und Wagen. Manche Bomben verfehlten ihr Ziel und gingen zwischen Kelz und den Nachbarorten auf den Feldern nieder. Die erste Bombe fiel in Kelz im August 1944. Eine Staubwolke und die Bombe detonierte mitten auf der Straße zwischen Pilgrams Scheune und der Bäckerei Kayser. Die Bäckerei stürzte teilweise ein.
An manchen Sonntagen kamen Kriegsgefangene unter strenger Bewachung aus dem Arbeitslager Arnoldsweiler nach Kelz. Sie hatten Spielsachen angefertigt, wie zum Beispiel Dackel, die so geteilt waren, dass sie sich bewegten, wenn man sie hinter sich herzog. Oder Vögel, die beim Vorwärtsschieben die Flügel auf und ab bewegten. Sie kamen, um die Sachen gegen Essbares einzutauschen. Manchmal wurden Sie von SA-Männern solange in das “Spritzenhaus“ eingesperrt, bis sie abends den“Heimweg“ ins Lager wieder antreten mussten. Dann hatten Sie den ganzen Tag kein Essen und keine Getränke gehabt, da sie nichts eintauschen konnten. Wenn Gefangene im Spritzenhaus eingesperrt waren, gingen größere Kinder hin und warfen Steine durch die Fenster. Die Steine fielen auf die Liegen, die unter den Fenstern standen. Somit hatten sie auch keine Gelegenheit, sich auf die Liegen zu legen, die mit Scherben übersät waren. Ich weiß nicht, ob dies den Kindern befohlen wurde, doch die Vermutung herrscht vor.
Ende September 1944 trafen viele Kelzer Vorbereitungen zur Evakuierung. Im Oktober flüchteten schon einzelne Familien. Am 30. November 1944 wurde Vettweiß schwer bombardiert. Am Freitag, den 15.12.1944 kam der Befehl, dass binnen zwei Stunden der Ort Kelz zu räumen sei. Wir wurden auf Militärautos verfrachtet und nach Liblar gefahren, wo ein Transportzug bereitstand, der am Abend abfuhr. Der Zug war zwei Tage und Nächte unterwegs. Endstation war Ilmenau in Thüringen. In Ilmenau wurde der ganze Transport auf die umliegenden Dörfer verteilt. Wir wurden mit einigen Kelzer und Vettweißer Bürgern der Ortschaft Bücheloh zugeteilt. Bücheloh sollte unsere zweite Heimat bis zum 01.12.1945 werden.
Unser Jahr in Thüringen “Bücheloh“
Nun saßen wir erstmals zu 8 Personen in einem großen Raum, der als Kindergarten diente. Wir richteten uns so gut es ging ein. Vater hatte als Kind Kinderlähmung gehabt, weshalb ihm das Soldat sein erspart blieb. Er hatte Schreiner- und Schusterwerkzeug mit in die Evakuierung genommen. Im Ort gab es keinen Schumacher, also fing er an, Schuhe zu reparieren, denn er hatte sich viel von seinem Vater, der Schuster gewesen war, abgeschaut. Dass der Vater Schuhe reparierte, hatte sich schnell im Ort herumgesprochen. Die Einheimischen brachten Ledersachen zur Reparatur, wie Pferdegeschirr und Lederriemen. Sie bezahlten mit Essbarem. Flüchtlingen wurde umsonst geholfen.
Wenige Tage nach unserer Ankunft, das Weihnachtsfest. Vater, mein großer Bruder Hermann und ich holten eine Tanne aus dem nahen Wald. Geschmückt wurde der Baum mit bunten Knöpfen. Gewöhnungsbedürftig, aber immerhin etwas, was an Weihnachten erinnerte. Im Haus wohnte auch eine Lehrerfamilie, die in einem nahen Stall 2 Kühe ihr Eigen nannte. Heilig Abend kam die Frau und brachte uns Milch, Nüsse und Gebäck. “Ein Geschenk Gottes“ sagte Mutter. So wurde die Trostlosigkeit durch diese Gaben “erhellt“. Eine andere Familie versorgte uns mit Brennholz, denn es war ja Winterzeit und Heizbares hatten wir auch nicht. Der Großvater dieser Familie hieß Ali Jahn. Er schaute öfter zum Plaudern mit Vater vorbei. Bei ihm wohnte Familie Öpen aus Kelz, somit war er mit der Mentalität der rheinischen Flüchtlinge wohlwollend vertraut. Keiner der schulpflichtigen Kinder besuchte in diesem Jahr 1945 die Schule. Ehe der Krieg zu Ende ging wurden im Ort Tabakballen verteilt. Woher der Tabak kam, blieb als großes Geheimnis zurück. Hermann und ich ergatterten auch einen. Ein Schatz, der unserer Familie noch zu Gute kommen sollte.
Im Ort standen Milchbänke. Dort lieferten die Bauern ihre Milchkannen ab. Von einem Milchwagen wurden sie abgeholt und zum Teil mit Magermilch gefüllt wieder zurück gebracht. Hermann und ich holten oft die Kannen vom Lehrer ab. Befand sich in einer der Kannen Magermilch, nahmen wir diese Kanne mit. Zu Hause leerten wir zwei Liter Milch daraus. Dann trugen wir sie wieder auf die Milchbank zurück, mit der richtigen Kanne auf nach Hause, um sie bei der Lehrerfamilie abzuliefern. Magermilch reicherte unseren dürftigen Speiseplan an. Ein sehr willkommenes Nahrungsmittel, dessen die Familie in den Nachkriegsjahren, ob der Fülle, überdrüssig wurde. Die Milchbänke benutzten die Flüchtlinge abends als Sitzgelegenheit. Dort versammelten sie sich, um zu plaudern. Die Einheimischen sahen das nicht gerne, was zu manchen Wortgefechten führte. Weil die Flüchtlinge nicht arbeiteten, nannte man sie “die Verfressenen Rheinländer“. Die Großmutter mütterlicherseits war mit einigen Kelzer Familien in einem anderen Ort untergebracht. Als wir wussten, wo sie war, haben wir sie oft besucht. Der Ort hieß Geraberg.
Der Krieg ging zu Ende und die Amerikaner eroberten auch Bücheloh. Nach einigen Monaten zogen die Amerikaner ab, es kamen die Russen. Sie errichteten am Ortsrand ein Lager, brachten Kühe mit, Pferdewagen voll mit Lebensmittel. Eines Tages suchten die Russen Leute, die melken konnten. Bruder Hermann, der älteste von uns vier Brüdern, bewarb sich, da er die Arbeit beherrschte. Als er abends zurückkam, hatte er Konserven mit Wurst, Fleisch und Brot bekommen. Es waren alles deutsche Wehrmachtssachen. Ein Festtag, wie Weihnachten, nur im Sommer. Am nächsten Tag war Hermann wieder einbestellt. Es war mit dem verantwortlichen Russen abgesprochen, dass auch ich kommen sollte, mit einer leeren Kanne, um Milch zu füllen. Ich ging also hin, das Lager war eingezäunt. Der Eingang wurde durch einen Posten bewacht, der ließ mich ohne weiteres rein. Ich suchte Hermann, der meine mitgebrachte Kanne mit Milch randvoll füllte. Mit der vollen Kanne ging ich nach Hause, musste aber am Eingang an dem Posten wieder vorbei. Als er mich sah, kam er auf mich zu und meinte, ich solle ihm zeigen, was in der Kanne sei. Als er sah, dass da Milch drin war, schlug er mir die Kanne aus der Hand. Die Milch ergoss sich über die Erde, ich bekam noch ein paar Ohrfeigen und einen Fußtritt. Ohne Milch musste ich den Heimweg antreten.
Mittlerweile war im Lager der Russen bekannt geworden, dass im Ort Tabakblätter zum Tausch angeboten wurden. Wir Kinder gingen mit vollen Tüten Tabak hin. Wenn es gut ging, bekamen wir Konserven dafür. Vater meinte, wir sollten Spitztüten nehmen, diese aufblasen und dann den Tabak lose reinlegen. Am Anfang ging das auch gut, bald hatten die Russen aber bemerkt, dass wir sie “betuppen“ wollten. Als wir wieder einmal mit Spitztüten ankamen, fassten sie die Tüten recht hart an und merkten, dass mehr Luft als Tabak in der Tüte war. Es gab statt Konserven ein paar Schläge hinter die Ohren, und Fußtritte begleiteten uns auf dem Nachhauseweg. In der Zwischenzeit hatte Vater einen Mitarbeiter für seine Schusterei gefunden, es war Hubert Berg. Er war zeitig aus dem Krieg entlassen worden, weil seine Zehen erfroren und amputiert worden waren. Hin und wieder kamen auch russische Soldaten, wenn sie z.B. einen Absatz verloren hatten und diesen wieder befestigt haben wollten. Das war dann ein Problem. Normalerweise wird der Absatz scheibchenweise aufgebaut. Ich erinnere mich. Ein russischer Soldat kam mit Stiefel und losem Absatz. Mein Vater erklärte, dass die Reparatur einige Zeit dauern würde. Doch der Russe sah das anders: “Nix Zeit, dawei, dawei“, herrschte er meinen Vater an. Dieser nahm zwei lange Nägel. Von außen nach innen den Absatz befestigt. Innen wurden sie einfach umgebogen, dem ungeduldigen russischen Kunden egal. Dieser wickelte sich einen Lappen um den Fuß und zog den Stiefel an und ging. Wie er auf den Nägeln gelaufen sein mag, für Vater ein Rätsel.
Anna, die große Schwester war 15 Jahre, Hermann 13, Josef 10, Bernhard 7, Alfred 5 und Marita 1 Jahr alt. Die drei ältesten Kinder fuhren mit der Mutter nach Geraberg zur Oma. In Geraberg wohnten einige Kelzer Familien, auch Familie Wilhelm Wallraff. Dort erfuhren wir Schreckliches. Die Kinder Reiner und Karl waren in der dortigen Badeanstalt zum Schwimmen. Sie nahmen eine Tür aus den Umkleidekabinen und ruderten damit über den nahen See. Reiner der nicht schwimmen konnte fiel von der Tür und ertrank.
Zu Essen hatten wir nicht viel, Genügsamkeit bestimmte den täglichen Speiseplan. In der Not ging Vater mit Hermann und mir schon mal in der Dunkelheit auf nahe Kartoffelfelder, um uns unbemerkt zu “bedienen“. Uns Brüdern kam auch die Obstreife im Herbst zu Gute. Die Wiesen waren mit Holzzäunen umzäunt. Wir entfernten eine Leiste, schoben diese zur Seite und krochen durch. Die Stelle blieb uns bestens bekannt. Immer wieder nutzten wir sie, um Obst zum Essen zu holen. Etwas Erfrischendes im täglichen Einerlei. Stets bedacht beim “Mundraub“ nicht entdeckt zu werden. Die “Einheimischen“, die “Asylgewährer“ ergingen sich bei Entdeckung in soliden Beschimpfungen. Wir drei Ältesten gingen schon mal mit anderen Flüchtlingskinder in Ilmenau, daß war das Kreisstädtchen, ins Kino. Ich musste mich immer auf die Zehen stellen, damit ich groß genug war, denn die Filme waren immer ab 12 Jahre.
Vater bekam eines Tages ein Angebot als Schreiner mit Wohnung in Ilmenau, denn er hatte den Beruf des Schreiners erlernt. Er hat das Angebot aber nicht angenommen, weil wir dann in der Russischen Zone hätten bleiben müssen. Das wollte er nicht. Heimat ging vor. Der Drang auf Heimkehr nach Kelz verstärkte sich. So verging die Zeit in Bücheloh. Aber der Tag kam, und wir konnten unser “Hab und Gut“ packen und fuhren mit der Bahn bis einige Kilometer vor das Lager Friedland. Dort mussten wir zu Fuß über die Demarkationsgrenze. Am ersten Tag hat das nicht hingehauen, wir mussten wieder zurück in das russische Lager. Am nächsten Tag ging es wieder zur Grenze. Peter, der Sohn von “Steffens Schwarz“, fuhr mit einem Motorrad, dass man mit Pedalen treten konnte, weil der Motor ausgebaut war, die Straße auf und ab. Die Russen wurden darauf aufmerksam. Sie hielten Peter an, besahen sich das Motorrad und nahmen es ihm ab.
Bruder Hermann transportierte auf einem Handwagen die Kiste mit dem Schreiner- und Schusterwerkzeug des Vaters. Auch er musste die Kiste öffnen. Als die Russen sahen, was sich darin befand, haben sie auch uns das Werkzeug abgenommen. Dann war es soweit, glücklich im Lager Friedland angekommen, meinte Vater, Hauptsache ist, dass wir noch alle zusammen und gemeinsam nach Hause fahren können. Wir waren froh und überglücklich. Die Fahrt nach Hause dauerte dann bis zum 15.12.1945.
Zu Hause angekommen, sahen wir, dass der Krieg schlimme Spuren hinterlassen hatte. Die großen Gebäude, wie das Kloster Concordia, die Schule und einige Steinhäuser waren durch Sprengung vom Erdboden verschwunden. Aus den Steinen und Schutt hatten die Amerikaner zwischen Kelz, Gladbach und Vettweiß einen großen Flugplatz gebaut. Zum Zeitpunkt unserer Rückkehr, war vom Flugplatz aber nichts mehr zu sehen. Nur noch Kieswege, die die Start- und Landebahn markierten. Am Lüxheimer Weg lagen aber noch einige Bomben, die später gesprengt wurden.
Viele Häuser und die Kirche waren nicht mehr benutzbar. Auch das Haus nicht, in dem wir vor der Evakuierung zur Miete gewohnt hatten. Auf Zeit kamen wir bei den Großeltern meines Vaters unter. Nach einigen Wochen bekamen wir eine Wohnung bei Frönjen-Hoch zugewiesen. Wir mussten uns neu einrichten, denn wir hatten nur das, was wir an Kleidung aus der Evakuierung mitgebracht hatten. Langsam normalisierte sich das Leben. Ich musste wieder in die Schule gehen, die im November 1945 begonnen hatte. Der Schulunterricht war in einem großen Raum in der ehemaligen Flakhalle. Diese befand sich am Ortsrand Richtung Vettweiß. Dort saßen wir alle so eng beisammen, dass eine Lehrperson nicht zwischen den Reihen hindurch gehen konnte. Beim Religionsunterricht, wenn es dann einmal laut wurde und Pfarrer Josef Scheer die Klasse nicht ruhig bekam, warf er schon mal mit einem Klütt (Brikett) nach dem Schüler, der fortwährend störte. Dann kehrte für kurze Zeit Ruhe ein.
Weißensonntag 1946 ging ich zur Kommunion. Es war eine arme Feier, denn man besaß nicht viel, doch aus dem wenigen wurde von Mutter ein “Festmahl“ gezaubert. Zufriedenheit und Dankbarkeit herrschte in diesen Wochen und Monaten vor.
Ich hatte auch einen Spitznamen, so wie einige im Dorf mit gleichem Familiennamen; zum Beispiel die Moehtze, die Schwallmanns, die Meijehsse, die Hoffmanns, die Books, die Angeniehse, alle mit dem Familienname Steffens. Mein Spitzname ist Homme Jupp. Der Name ist entstanden in der Schulzeit meines Vaters. Er konnte nicht singen. Vor dem Gesangunterricht schickte ihn Lehrer Safelsberg stets in den Keller zum Holz hacken und meinte, du summst doch eh nur wie eine Hummel. So kam Vater an den Namen Homme Hein, der dann auf mich übertragen wurde.
Nach den Sommerferien 1946 wurden zwei Baracken auf dem ehemaligen Schulhof aufgebaut, so genannte Nissenhütten. Diese wurden als Unterrichtsräume in Wechselschicht von der Lehrerschaft und allen Schulklassen genutzt. Es waren keine Toiletten in den Nissenhütten vorhanden. Diese wurden im alten Spritzenhaus, das hinter den Nissenhütten lag, eingerichtet.
Was sind Nissenhütten?
Nissenhütte ist die Bezeichnung für eine von dem Kanadischen Ingenieur und Armeeoffizier Peter Nissen im Jahr 1916 entwickelte Wellblechhütte. Die Hütte war 10,5 m lang und ca. 5 m breit. Sie wurde in Fertigbauweise mit halbrundem Dach und einer Grundfläche von ca. 40 qm hergestellt. Sie diente im Ersten Weltkrieg als schnell zu errichtende mobile Unterkunft für die Soldaten der Army. Für die Errichtung einer solchen Hütte benötigte man sechs Soldaten und eine Zeit von vier Stunden. Im Jahre 1941 baute die USA ca. 150 000 solcher Hütten, die dann weltweit eingesetzt wurden. In den Jahren nach dem Krieg, dienten die Hütten in Europa zunächst beim Aufbau von Internierungs-, Gefangenen- und Entlassungslager. Für die große Zahl an Flüchtlingen und Ausgebombten wurden Nissenhüttenlager in der britischen und amerikanischen Zone errichtet. Bis zu zwei Familien wurden in dem durch eine dünne Wand getrennten Raum untergebracht. Solche Nissenhütten haben auch auf dem Flugplatz zwischen Kelz und Vettweiß gestanden.
Ab Oktober 1946 gab es die sogenannte Schulspeise, die in Kübeln in die Schulen gebracht wurde. Frau Fassbender, die gegenüber den Nissenhütten (Schule) wohnte, bereitete die Suppen auf und wir Kinder holten sie in Schüsseln ab und aßen sie in den Nissenhütten auf. Die Suppen bestanden zumeist aus Milchreis und Haferflocken. Es gab auch Carepakete mit Plätzchen, Schokolade, Datteln und Feigen. Die Speisung gab es ungefähr ein Jahr lang.
Zwischen den Nissenhütten spielten wir Jungen Fußball. Zu dieser Zeit hatten wir keine richtigen Bälle. Die Bälle wurden selber gemacht, indem wir Papier zusammenknüllten und mit Gummistreifen von alten Fahrradschläuchen überzogen, bis eine bestimmte Dicke vorhanden war. Wir nannten das Fußballspielen Schiebekämpfe, da immer zwei gegen zwei spielten.
In unserer Schulzeit hatten wir Jungen Basteln und die Mädchen Handarbeit. Einige Jungen bastelten Weihnachtskrippen mit den dazu gehörigen Figuren, Bauernhöfe mit Vieh, oder einen Zirkus mit seinen Tieren. Die Figuren und Tiere, die man benötigte, zeichnete Hauptlehrer Herbert Koch. Er war ein “Genie“, egal ob es eine Krippenfigur, ein Clown oder ein Tier für einen Bauernhof oder Zirkus war, für ihn kein Problem. Das einzige Problem, das wir hatten, war, wo und wie es Laubsägeblätter zu beschaffen gab. Die musste man hamstern. Hamstern war Tauschen von Butter oder Speck gegen Laubsägeblätter. Durch die Bastel- und Handarbeit der Mädchen wurden so viele Sachen gefertigt, dass sie vor Weihnachten in den Nissenhütten ausgestellt und verkauft werden konnten.
Sonntagnachmittag war immer Andacht mit Christenlehre in der Kirche angesagt. Spielte dann der SV Kelz im Heimspiel, konnten wir Jungen nicht hingehen. Besuch der Andacht war “Pflicht“ und wurde von den Eltern “überwacht“. Bei “wichtigen Spielen“ baten die Messdiener Pfarrer Scheer, die Andacht ohne Christenlehre zu halten. Wenn er gut gelaunt war, willigte er ein. Was machten wir Kinder, wenn der tägliche Unterricht zu Ende war? Es wurde gekneggelt, mit Murmeln spielen. Vorwiegend auf dem Weg zur Kirche zwischen der alten Schule und dem Haus der Geschwister Steffens. Den Geschwistern missfiel die Lautstärke vor ihrem Haus. Um Abhilfe zu schaffen, gossen sie in die Kuhlen (kleine Erdvertiefungen), die zum Kneggeln gebraucht wurden, Jauche oder Urin, das brachte den Geschwistern den Namen “Pisspöttchen“ ein. Ihr Haus war im Krieg stark beschädigt aber wieder aufgebaut worden. Das Dach bekam eine Blecheindeckung. Wenn die Dorfjugend abends durch das Dorf zog, hieß es, wir gehen “Pisspöttchens“ ärgern. Den Namen hatten sie nun mal weg. Wir warfen mit Steinen auf das Blechdach, dass es nur so schepperte. Vergeblich versuchten sie stets die “Übeltäter“ zu ermitteln. Das gleiche “Ritual“vollzogen auch die Messdiener Sonntags vor der Andacht. Sie verschwanden danach immer schnell in der Sakristei. Eines Sonntags hatte sich einer der Geschwister hinter eine Tanne, die am Kriegerdenkmal stand, gestellt und beobachtet, wie die Messdiener, nach einem Steinwurf auf ihr Dach in der Sakristei verschwanden. Die Geschwister erzählten alles Pfarrer Scheer. Der schimpfte lautstark während der Andacht von der Kanzel herab mit den Messdienern und den Jugendlichen. Seitdem hat er keine Andacht mehr ohne Christenlehre gehalten.
Als Jugendliche zogen wir aber weiter durch das Dorf und machten unseren Schabernack. Wenn es dunkel wurde, leuchteten wir mit unseren Taschenlampen in die Hecken, ob da Spatzen saßen. Wir fingen sie und suchten nach einem offenen Küchenfenster. Ward eines ausgemacht, warfen wir einen Spatz hinein und hatten unsere Freude daran, wie der Spatz durch die Küche flog. Dies war der Anlass zu Willi Ostermanns Karnevalsschlager:“ Watt well die Mösch bei ons en dr Köch“. Konnten die so “Geschädigten“ die Übeltäter namhaft machen, ging die “Meldung“ an Lehrer Koch. Der kannte keine “Gnade“. Strafarbeit wurde auferlegt. Dies war so eine Sache. Schiefer vom Dach der Kirche war zur Schreibtafel umfunktioniert worden, da kaum Schreibpapier vorhanden war. Ich hatte natürlich auch oftmals Strafarbeit auf. Wir behandelten im Schulunterricht einen Zeitungsbericht, “die Ziege des Herrn Segoin“. Ich sollte den ganzen Bericht abschreiben. Das habe ich nicht gemacht. Anderntags musste ich nach vorne vor die Klasse treten und die Strafarbeit vorzeigen. Ich hatte sie einfach nicht gemacht. Lehrer Koch fragte, weshalb ich sie nicht gemacht habe? Die Antwort war: “Kein Papier Herr Lehrer“. Koch meinte, ich hätte ja auf Zeitungspapier schreiben können. Meine Antwort: Wir können uns zu Hause keine Zeitung leisten, deshalb auch kein Papier. Herr Koch kannte unsere familiäre und angespannte häusliche Lage. Weil ich ehrlich war, brauchte ich nur einen kleinen Abschnitt zu schreiben und die Strafarbeit war erledigt.
Nach der Währungsreform 1948 verbesserte sich die wirtschaftliche Lage, es gab fast alles zu kaufen. Auch Schulausflüge wurden gemacht, wie zum Beispiel nach Nideggen. Wir Kinder hatten unsere Freude daran. Schwer verständlich in der heutigen Zeit. Aber was hatte das Leben für uns damals übrig: “Fast nichts“. Schülerfußballmannschaften wurden ins “Leben“ gerufen. Wir spielten gegen Vettweiß, Gladbach oder Lüxheim. Ende 1948 wurde in Kelz am Ortsausgang nach Frauwüllesheim ein neues Schulgebäude errichtet. Hauptlehrer Koch hatte die große Hoffnung, den Schulentlass Jahrgang 1950 aus der neuen Schule zu entlassen. Der Wunsch konnte leider nicht erfüllt werden. Die Schule wurde mit einem Jahr Verspätung erst 1951 fertig. Somit entstand unser Entlassungsfoto zwischen den Nissenhütten, als Erinnerung an die Notschule.