In der Festschrift zum 150jährigen Jubiläum der St. Gereon Schützenbruderschaft Vettweiß-Kettenheim 1849 e.V. hat Gabriel Falkenberg sehr detailliert über das Brauchtumsschießen, insbesondere über das Vogelschießen in der Schützenbruderschaft Vettweiß berichtet.
Meine Familie, die Familie Brandenburg ist seit Generationen unserer Schützenbruderschaft und dem traditionellen Schießsport eng verbunden. Sie hat ihn gepflegt und den Grundstein dafür gelegt, dass er auch heute noch durchgeführt werden kann.
Dies ist für mich der willkommene Anlass, die Geschichte der Donnerbüchsen für die kommenden Generationen einmal zu dokumentieren.
Besucher, die das jährliche Schützenfest der St. Gereon Schützenbruderschaft Vettweiß aufsuchen, werden durch einen sehr lauten und markanten Knall stets daran erinnert, dass der Vogelschuss an den beiden Schützenfesttagen mit Vogelbüchsen, im Volksmund als Donnerbüchsen geläufig, durchgeführt wird.
Nicht ungewöhnlich für jemanden, der Kenntnis von der Geschichte der teilweise über 150 Jahre alten Donnerbüchsen hat.
Mein Großvater, Hubert Brandenburg, geb. am 03.06.1863, hatte Zeit seines Lebens ein ausgeprägtes Verhältnis zum Schießsport, für das ihn schon sein Vater, Mitglied der St. Gereon Schützenbruderschaft Vettweiß-Kettenheim, begeistern konnte.
Bereits im Alter von 18 Jahren erwarb er, unter Mithilfe seines Vaters, zwei Donnerbüchsen, die er zum Verleih für Vogelschuß, gegen entsprechendes Verleihgeld an Schützen- und Kriegerfesten anbot, so auch der St. Gereon Schützenbruderschaft und dem Vettweißer Kriegerverein.
Die Hoheit bei diesen Schießen lag stets in den Händen meines Großvaters, dem alsbald das Amt des Schießmeisters der St. Gereon Schützenbruderschaft angetragen wurde. Dieses verantwortungsvolle Amt oblag ihm vom Jahre 1880 bis zum Jahre 1930.
Durch die nicht erwartete große Inanspruchnahme der Gewehre sah er sich gezwungen seinen Bestand auf sechs Büchsen durch Zukäufe zu erweitern.
Die Vogelbüchsen sind großkalibrige Waffen im Kaliber 16 und 20. Sie haben einen gezogenen Lauf von ca. 80 cm Länge, der das Geschoss in eine axiale Drehung versetzt und so die Flugbahn stabilisiert. Heute sind solche Gewehre nur noch als Einzelanfertigung zu erwerben.
Die verwendete Munition wird selbst hergestellt. Es sind von Hand gegossene Bleigeschosse.
Für die Herstellung werden Guss Zangen zum Kugelguss, Patronenhülsen, Schwarzpulver und Zündhütchen benötigt.
Unterstützung bei der Vorbereitung und Durchführung erhielt mein Großvater in späteren Jahren von seinem Sohn Bernhard, geb. 29.4.1896.
Nach dem Tod seines Vaters, am 26.12. 1931, gingen die sechs Gewehre samt Zubehör in das Eigentum meines Vaters über, der die Tradition auf Verleih für den Vogelschuss an Schützenfesten fortführte. Von seinem Vater übernahm er auch das Amt des Schießmeisters der Bruderschaft, das er vom Jahre 1930 bis zum Jahre 1964 innehatte.
Im Laufe des Jahres mussten für die anstehenden Schützenfeste stets umfangreiche Vorbereitungen getroffen werden, u.a. die Herstellung der Geschosse.
Das benötigte Blei wurde auf verschiedene Art und Weise besorgt. Dazu dienten vornehmlich ausgediente Bleirohre.
Die restlichen Zutaten wurden beim Büchsenmacher Krudewig aus Erp erstanden, um sobald mit der Herstellung zu beginnen. Das Blei wurde zunächst in einem Tiegel geschmolzen und in eine Guss Pfanne gefüllt. Nach der Erkaltung wurde das jeweilige Geschoss aus der Zange geklopft.
Dann wurde in die vorgesehenen Patronenhülsen eine bestimmte Menge Schwarzpulver gefüllt. Dies geschah mittels gekennzeichnetem Pulverhorn oder Messbecher, da sich die Menge des Pulvers nach der Größe der Preis- und Königsvögel ausrichtete. Für Pfändervögel wurde weniger Pulver eingefüllt als für Hauptvögel. Hier war die jahrelange Erfahrung des Schießmeisters gefragt.
Die Schützenfeste wurden damals mit dem gängigsten Fortbewegungsmittel angefahren, dem Fahrrad.
Der Transport der Gewehre zu den auswärtigen Schützenfesten wurde gelöst, indem sie am Fahradrahmen befestigt wurden. Zum Einsatz kamen meist drei Büchsen. Die Kisten mit dem benötigten Zubehör wurden auf dem jeweiligen Fahrradständer befestigt.
So verging Jahr um Jahr, bis mein Vater meinem Drängen nachgab und ich ihn zu den Schießen der Bruderschaften in den einzelnen Ortschaften begleiten durfte.
Bis zum Jahr 1933 erfreuten sich die Schützenfeste immer einem sehr regen Besuch. Mit der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten im Jahre 1933 verloren sie jedoch mehr und mehr an Zuspruch.
Letztlich wurde im Jahre 1938 das Feiern von Schützenfesten durch die Nazis gänzlich verboten.
Mit Kriegsende verfügten die Besatzungsmächte, dass jeglicher Waffenbesitz verboten und jede im Eigenbesitz befindliche Waffe abzuliefern sei.
Eine derartige Verfügung hatte mein Großvater bereits im Jahre 1918, nach Ende des 1. Weltkrieges, bewusst ignoriert und erfolgreich umgangen. Durch die Besatzer war ein striktes Verbot auf den Besitz von Waffen und Munition verfügt worden. Zuwiderhandlungen wurden mit strengen Strafen belegt.
Diesem Verbot wollten weder mein Großvater noch die Schützenbruderschaft nachkommen und die Waffen abliefern. Er entschied, die Gewehre Langzeit und gut versorgt unter den Dielen der Küche zu verstecken, eine Idee, die voll aufging.
So verschwendete auch mein Vater keinen Gedanken daran, die ausgesprochene Verordnung der Besatzer, die bei Zuwiderhandlung harte Strafen nach sich zog, zu befolgen.
Ein Versteck mußte her, das nach einiger Überlegung rasch gefunden war, der Brunnen im Hof. Dieser war, mit einer Pumpe versehen, voll funktionstüchtig.
Vater baute nun eine sehr stabile Haltevorrichtung an die innere Brunnenwand. Die Donnerbüchsen wurden dick mit Fett eingerieben, in wasserabweisende Wachstücher gewickelt, gut verschnürt, sodann samt Haltevorrichtung im Brunnen versenkt. Die Vorsichtsmaßnahme, die Gewehre mit einer dicken Fettschicht zu versehen, hatte er von seinem Vater übernommen.
Vielfältige Nachforschungen auf illegalen Waffenbesitz durch die Besatzer liefen stets ins Leere. Das Versteck war mehr als perfekt gewählt.
Langsam regte sich, wie bereits nach dem ersten, so auch nach dem zweiten Weltkrieg, wieder das Vereinsleben im Ort. Mitglieder der Vereine trafen sich in Versammlungen. Trotz sehr eingeschränkter Lebensweise, die Bevölkerung sehnte sich nach Abwechslung. Vereinsfeste lebten wieder auf, so auch das Schützenfest.
Beim ersten Nachkriegsschützenfest im Jahre 1949 war das Schießen mit Feuerwaffen noch verboten. Behelfsweise wurde der Königsvogel mit der Armbrust geschossen. Gegen Ende desselben Jahres wurde das Verbot der Feuerwaffen endlich aufgehoben.
Dies war das Zeichen für meinen Vater. Die Büchsen wurden aus dem Brunnen geborgen, begleitet von der bangen Frage, in welchem Zustand sie sich wohl befinden mögen.
Das Erstaunen war groß und die Freude über den einwandfreien Zustand noch größer. Nach eingehender Reinigung war der uneingeschränkte Einsatz gewährleistet.
Beim Bezirksschützenfest der St. Gereon Schützenbruderschaft 1950 kamen die Donnerbüchsen nach einer “Ruhefrist“ von 12 Jahren wieder zum Einsatz. Das benötigte Schwarzpulver konnte auf illegale Weise besorgt werden. Hierbei leistete Hermann Falkenberg, Schießmeister von 1965 bis 1978, wertvolle Hilfe. Durch seine Kontakte zum belgischen Militär konnte er das Schwarzpulver in Belgien erwerben und über die Grenze nach Deutschland schmuggeln. Der jährliche Vogelschuß mit den Donnerbüchsen war gewährleistet.
Erst im Jahre 1964 wurde der Erwerb von Schwarzpulver legalisiert. Dies ist auch das Jahr, in dem mein Vater aus gesundheitlichen Gründen das Amt des Schießmeisters der St. Gereon Schützenbruderschaft Vettweiß - Kettenheim niederlegte. Zu gewagt schien ihm die Fortführung seines geliebten Hobbies.
Da sich mein Interesse auf Fortführung der Familientradition äußerst begrenzt zeigte, war es sein größter Wunsch, die Donnerbüchsen in guten Händen zu wissen, um in geordneten Bahnen dem Vogelschuß weiter dienlich zu sein.
Ein Wunsch, den die Vettweißer Bruderschaft gerne erfüllte. Sie erwarb einen Teil der Büchsen, denn so ganz konnte und wollte er sich von seinem väterlichen Nachlass nicht trennen.
Die über 100 Jahre andauernde Zeitspanne vom Familienbesitz der Gewehre, die sehr viele Erinnerungen wachhielten, war für ihn nicht so leicht zu verschieben, so dass er zwei Büchsen als bleibendes “Andenken“ zurückhielt.
Nach seinem Ableben, am 12.4. 1977, habe ich die mir verbliebenen Donnerbüchsen samt Zubehör der St. Gereon Schützenbruderschaft Vettweiß-Kettenheim 1849 e.V. zum Erwerb angeboten, die dieses Angebot dankend angenommen hat.
So mögen die über 150 Jahre alten Vogelbüchsen, im Volksmund nur Donnerbüchsen genannt, zukünftig beim jährlichen Schützenfest weiterhin dem Vogelschuß dienen.
Zum Abschluss mein größter Wunsch:
Möge der laute und markante Knall, der stets die aufkommende Stille zerreißt und ankündigt, dass der Vogelschuss in vollem Gange ist, auch in Zukunft ein absolutes Muss des jährlichen Schützenfestes bleiben.
Vettweiß, den 30. Januar 2017
Hubert Brandenburg