Der 30. November 1944 war für Vettweiß ein schicksalhafter Tag, denn er brachte Tod und Verderben über unser bisher von den Gräueln des Krieges weitgehend verschontes Dorf. In diesem Jahr jährt sich dieses Ereignis zum 75. Mal.
Gegen Mittag flogen B 26 und A 20 Flugzeuge der 9th Bombardement Division quer über unser Dorf und luden ihre Bombenlast ab. Der gesamte grausame Spuk dauerte weniger als fünf Minuten. Die Auswirkungen dieses Bombenangriffes waren verheerend. Der mittlere Teil des Ortes wurde nahezu völlig zerstört. Zahlreiche Tote und Verwundete waren zu beklagen. So mussten 38 Einheimische und 5 Zwangsarbeiterinnen aus der Ukraine ihr Leben lassen. Zudem wurden 26 deutsche Soldaten unterschiedlichster Waffengattungen dahingerafft. Die Soldaten sowie die Ukrainerinnen wurden auf verschiedenen Friedhöfen provisorisch bestattet und in späteren Jahren auf zentralen Friedhöfen in der Eifel zur endgültigen Ruhe gebettet. Die Grablegung der Einheimischen erfolgte in einem separaten Teil des örtlichen Gemeindefriedhofes. Mehrere Zeitzeugen haben ihre Erinnerungen an den 30. November 1944 dokumentiert und dem HGV zur Verfügung gestellt. Auszugsweise geben wir einige von ihnen wie folgt wieder:
Johann Hoch geb. am 10.12.1890, verst. am 21.04.1971
Als ich am Morgen des 30. November die Treppe vom Schlafzimmer hinunter ging, dachte ich: Wie oft magst du noch hinunter gehen. Ich ahnte nicht, daß es das letzte Mal sein sollte. Gegen 11 Uhr ging ich zur Schmiede Erken. Da kommen Flieger ertönte der Ruf. Dann ging auch schon das Getöse, die Erschütterungen und Verschüttungen los. Es wurde dunkel wie die Nacht. Als es heller wurde kam mir zu Bewusstsein, daß unser Haus flach lag, Volltreffer. Mutter stand draußen und rief um Hilfe. Sie rief nach unserem Josef. Dann sah ich zuerst den Sohn von Hubert Dortu verschüttet liegen. Ich machte seinen Oberkörper frei und sagte: „Sei ruhig, dir passiert nichts mehr.“ Seinen Sohn Willi hat Dortu dann selbst gefunden und frei gemacht. Seine Tochter aber lag tot in der Gasse. Unser Arbeiter Heinrich Schink lag von niedergehendem nassem Erdreich verschüttet wie festgemauert im Freien. Er wurde befreit, starb aber kurze Zeit später. Im Kuhstall schrie ein Ukrainer Mädchen eingeklemmt zwischen Betonbrocken. In der Küche fand ich meine Schwester und meine Schwägerin ebenfalls unter Balken und Schutt liegend. Wir konnten sie befreien. Nun fanden wir Zeit die Personen, die im Wohnzimmer gewesen waren, frei zu machen. Es waren unser Josef, Frau und Fräulein Knipprath, alle tot. Da anderswo kein Platz war, mussten sie in die Küchengasse gelegt werden, gerade da wo noch Platz war, wo sie von irgendwelchen Leuten mit Rollostoff zugedeckt wurden. Viele Tote wurden auch kurzfristig in der Kirche aufgebahrt. Samstags in aller Frühe haben wir die Toten mit einer Trage zum Friedhof gebracht. Am Nachmittag war die Beisetzung durch Dechant Bohnekamp aus Düren, der damals noch Kaplan war.
Gabriel Falkenberg, 90 Jahre
Der 30.November 1944 war für meine Familie und mich ein Schicksalstag. Am schlimmsten war, daß wir unseren jüngsten Bruder Sebastian verloren. Er spielte mit seinem Freund Heinrich Rittmeyer auf dem Hof. Beide wurden durch den Bombeneinschlag getötet. Frau Falkenberg in den Trümmern ihres zerbombten Hauses (Archiv HGVV) Trotz intensivster Suche haben wir beide erst am nächsten Tag gefunden und ihre sterblichen Überreste, zusammen mit den anderen Toten, anderntags zu Grabe getragen. Ein erschütterndes Erlebnis. Unser Grundstück hatte mehrere Treffer abbekommen. Im benachbarten Saale des ehemaligen Jugendheims, später französisches Kriegsgefangenenlager, waren Fremdarbeiter aus der Ukraine untergebracht. Durch die Erschütterungen des Bombardements waren die dort befindlichen Öfen umgefallen und setzten die als Schlafunterlagen dienenden Strohsäcke in Brand. Es entstand ein riesiges Feuer, das sofort auf unser Haus übergriff. Da die Wasserleitung zerstört war versuchten wir das Feuer mit Jauche zu löschen. Dieser Versuch schlug fehl, unser Haus brannte völlig aus. Wir waren plötzlich obdachlos und zogen mit den wenigen uns verbliebenen Habseligkeiten in unsere nahegelegene Feldscheune.
Lilly Bönsch geb. Eversheim 89 Jahre
Das markante Kriegsdatum für Vettweiß war der 30. November 1944. Mein Onkel aus Derichsweiler und mein Bruder Willi waren gerade auf dem Hof vom Landwirt Gerhard Kau als die Bombardierung ohne Vorwarnung einsetzte. Alles ging so rasend schnell. Ehe jemand begriffen hatte was passiert war, war auch schon alles vorbei. Eine unheimliche Stille folgte dem nie gekannten Lärm der Explosionen. Der Hof Kau war besonders schwer getroffen mit vielen Toten. Mein Bruder Willi wurde durch die Explosionen und den dadurch entstandenen Luftsog in den einsturzgefährdeten Rest einer Scheune geschleudert. Er blieb zuerst unauffindbar. Man entdeckte ihn erst am Nachmittag verletzt und völlig traumatisiert in den Trümmern der Scheune liegend. Er lebte noch. Zur Erstversorgung wurde er dann zum Hauptverbandsplatz nach Froitzheim transportiert.
Franz – Herbert Courth 86 Jahre
Den 30. November 1944 werde ich nie vergessen. Als die feindlichen Flieger kamen und das Inferno begann standen meine Eltern eng umschlungen im Keller und ich mitten zwischen ihnen. Sie hatten offensichtlich mit dem schlimmsten gerechnet und wollten mein junges Leben schützen. Obwohl neun Bomben auf den Frohnhof fielen waren keine Todesopfer zu beklagen. Die Schäden an den Gebäuden hielten sich im Vergleich zum Nachbarhof Kau, heute Zurhelle, in Grenzen. Dort war man gerade beim Dreschen. Das Chaos war unvorstellbar, zwanzig Personen verloren dort ihr Leben. Ich erinnere mich, daß mein Vater den Leichnam von Herrn Gerhard Kau mit einer Sackkarre zum Friedhof gefahren hat. Lange hatte ich nicht verkraftet, daß mein Freund und Spielkamerad Sebastian Falkenberg (Schmötz Büb) nun nicht mehr unter den Lebenden sein sollte. Noch heute kann ich ihn nicht vergessen. Am Abend brachten meine Eltern mich zu unseren Verwandten Merckelbach nach Froitzheim. Dort waren auch meine Geschwister Waltraud und Hermann. Beide hatten den Angriff nicht erlebt. In der Flakhalle Froitzheim war ein Hauptverbandsplatz der nahen Front. Sämtliche Scheunendächer des Ortes waren mit dem Emblem des Roten Kreuzes bemalt. Es wurde auch von den Amerikanern respektiert. So war man dort einigermaßen sicher.
Wilhelm Klösgen 84 Jahre
Am besagten 30.November hörten wir gegen Mittag plötzlich ein für uns undefinierbares Rauschen, so als wäre ein riesiger Hornissenschwarm im Anflug. Die bei uns einquartierten deutschen Soldaten hatten aber sofort erkannt, daß es sich um amerikanische Bomber im Anflug auf Vettweiß handelte und daher große Gefahr drohte. Sie stürmten in unseren Keller und rissen uns Kinder mit hinab. Nachdem die Bombeneinschläge und die daraus hervorgerufenen Erschütterungen aufhörten stürmte ich ins Freie. Die Luft war verpestet und das in der Burg Erasmy untergebrachte Treibstofflager der deutschen Wehrmacht stand in hellen Flammen. Eine schwarze Rauchwolke zog über das Dorf. Aus Neugier wollte ich ins Dorf laufen, aber meine Mutter verbot es mir. Sie wollte mir offensichtlich den Anblick der Zerstörung ersparen. Am nächsten Tag gab es für mich jedoch kein Halten mehr. Ich lief zum Marktplatz und sah das ganze Chaos. Diese Zerstörung, die Trümmer und die noch andauernden Schwelbrände waren für mich unvorstellbar und lösten in mir einen Schock aus, den ich erst nach langer Zeit überwunden habe.
Agnes Waser 84 Jahre
Der Bombenangriff vom 30.11.1944 war ein nicht zu vergessendes Ereignis. Zusammen mit etlichen Kindern hatten wir uns am Morgen in der Schützenstraße aufgehalten. Der Schulunterricht war eingestellt. Auf dem Nachhauseweg, wir wohnten in der heutigen Dürener Straße, erlebten wir ein friedliches Dorf. Wir erreichten unser Haus als urplötzlich wie aus dem Nichts das Inferno begann. Mutter, Großeltern und Kinder, alle in den Keller. Die Erde bebte. Gegenstände versperrten teilweise den Kellereingang. Mein Vater, der sich zu dieser Zeit auf dem Frohnhof aufhielt und unversehrt blieb, befreite uns aus der misslichen Lage. Wir Kinder wurden auf freies Feld geschickt wo wir uns Verstecke suchten um vor Tieffliegern sicher zu sein. Von dort aus konnten wir rauchende Trümmer und ausgebombte Häuser sehen. Wie viele Ausgebombten und Anwohner der Verwüstungsschneise suchten wir dann bis zur baldigen Evakuierung Zuflucht im Bunker des Pionierparks.
Sibille Oatway geb. Tesch 83 Jahre
Wir wohnten damals in einem Miethaus neben der damaligen Krautfabrik am heutigen Seelenpfad. In unmittelbarer Nähe war schon viele Jahre vor Kriegsbeginn ein Pionierpark angelegt worden. Die Pioniere hatten dort einen Stollen gebaut, der auch von Zivilisten bei Fliegeralarm und Tieffliegerangriffen auf den angrenzenden Bahnhof aufgesucht wurde. Am Tag des Bombenangriffs auf Vettweiß, gegen 11 Uhr, hieß es im Stollen, das Dorf sei bombardiert worden und Häuser würden in Flammen stehen. Mein Vater war unterwegs zum Bauernhof Courth um zwei Liter Milch zu holen. Er erlebte den Angriff am Bauernhof von Heinrich Erasmi hinter einer Mauer liegend. Zu Hause angekommen wirkte er wie paralysiert; die Milchkanne war leer. Das Haus unserer Tante Käthe, verheiratet mit Rony Engels, hatte einen Volltreffer erhalten. Tante Käthe wurde durch die Wucht der Detonation aus ihrem Haus heraus bis an die fast 100 Meter entfernte Scheune Heinrichs geschleudert, während ihr Sohn Bernhard Opfer des Angriffs wurde.
Irmgard Wüffel geb. Christoffels (geb. 12.01.1930 gest. 07.05.2017)
Dann kam der 30. November, der Angriff auf Vettweiß. Diesen erlebten wir hautnah. Ich war gerade im Kloster Vettweiß. Dies war das Schrecklichste, was uns treffen konnte. Als wir aus dem Keller kamen war alles zerstört. Dicke Rauchwolken hingen tief am Himmel, alles schwarz von Staub, Schutt und Asche. Ich wagte mich nach Hause und sah, daß unser Haus halb weggerissen war. Überall Tote und Verwundete. Die Straßen verschüttet, an manchen Stellen brannten die Häuser. Verwandte suchten mit bloßen Händen nach ihren Lieben. Auch wir hatten eine kleine Nichte zu beklagen, von Dortu die kleine Tochter, drei Jahre alt. Sie lag tot in der Küchengasse. Eine Anmerkung zum Schmunzeln. Als der Angriff in Vettweiß vorüber war ging ich, wie beschrieben, vom Kloster nach Hause. Die Straße war kaum begehbar, überall Schutt, Staub, Brandgeruch, verwundete Soldaten und Bewohner. Alles schrie durcheinander und zwischen den Verwüstungen liefen Hühner vom Frohnhof ohne Federn, wie gerupft. Nur ihre Kämme waren zu sehen, da mußte ich trotz der furchtbaren Situation leise in mich hinein lächen. Diesen Anblick habe ich bis heute nicht vergessen.
Elisabeth Weber 93 Jahre
Am Fest des heiligen Andreas hatten wir um 7 Uhr heilige Messe, es war der 30.11.1944. Es wurde ein schlimmer Tag für Vettweiß. Ohne Vorwarnung fielen gegen 11 Uhr Bomben und zerstörten Teile des Dorfes. Überall lagen die Toten, manche wurden nie gefunden. Häuser brannten, wir flüchteten in die Felder und suchten dort Schutz. Schon vor dem Angriff kamen immer wieder Tiefflieger und beschossen unser Dorf, denn Vettweiß war Ausladebahnhof für Kriegsmaterial und Soldaten. Von hieraus marschierten sie zum Hürtgenwald. Die meisten kehrten nie mehr zurück. In der Kirche lag eine tote Frau, ich kannte sie nicht. Es waren auch Flüchtlinge aus der Eifel in Vettweiß. Nie werde ich vergessen, wie Willi Erasmi seine tote Frau und 4 seiner Kinder auf einem Pferdekarren zum Friedhof brachte. Es war grauenvoll. Viele, die wir gekannt haben, waren tot.
Hubert Brandenburg 89 Jahre
Der Krieg tobte im Hürtgenwald. Der Pionierpark, der Verladebahnhof für Kriegsmaterial und ein Treibstofflager auf Burg Vettweiß blieb den alliierten Streitkräften nicht verborgen. Dann der 30. November. Ich stand mit meinem Vater auf unserem Hausdach um Granatsplitterschäden auszubessern Zu diesem Zeitpunkt wurde Vettweiß schon lange vom Hürtgenwald aus beschossen. Es war eine gute Stunde vor Mittag. Für uns war plötzlich auszumachen, dass sich ein Flugzeugverband drohend, schnell und in zwei Rotten gestaffelt dem Dorf aus westlicher Richtung näherte. Die werden doch wohl nicht Vettweiß im Visier haben, unsere bange Frage, denn die Merkwürdigkeit der geringen Flughöhe war gegeben. Plötzlich hing ein grausiges Sausen in der Luft. Es krachte zu beiden Seiten von uns. Schnell vom Dach runter, zusammen mit Mutter in den Garten, um in unserem selbst gebauten Bunker, wir nannten ihn Drecksloch, Schutz zu suchen. Aber dann war auch schon alles vorbei, ein Inferno hinterlassend. Große Teile vom Ober-, vom Mittel-, bis hinunter ins Unterdorf waren zielgerichtet bombardiert, viele Opfer hinterlassend. Ich habe viele der in Vettweiß getöteten Zivilisten gekannt. Auch viele der hier stationierten Soldaten kamen an diesem Tag ums Leben.
Agnes Siepen geb. Falkenberg 82 Jahre
Am Morgen des 30. November überflogen Tiefflieger, wie am Tag zuvor, den Ort. Auffällig war, dass am vorherigen Tag ein Panzerspähwagen, mit einer riesigen Antenne ausgestattet, seine Stellung auf dem Hof der Familie Hövels verlassen hatte. Am Vormittag sah meine Schwester zufällig wie Soldaten im neben dem Sportplatz verlaufenden Graben Schutz suchten. Ein Schrei, ab in den Keller. Schon setzte unter großem Lärm der Bombenhagel ein. Der Angriff war kurz, doch die bange Frage herrschte vor, kommen die Flugzeuge noch mal zurück. Dann Entwarnung. Raus aus dem Keller, sogleich die furchtbare Zerstörung in unserer Nachbarschaft vor Augen. Vettweiß war in Rauch und Asche gehüllt. Leichtverletzte Personen fanden sich bei unserem Haus ein, weil abgelegen wurde es auch die Insel genannt, um notdürftig von einquartierten Soldaten versorgt zu werden. Sie hatten blutige Gesichter von zerborstenen Fensterscheiben, Blutergüsse am ganzen Körper, Verbrennungen, Brandblasen. Schwerverletzte wurden erstversorgt um dann ins Lazarett nach Euskirchen transportiert zu werden. Volltreffer am Ort des bis vor kurzem hier noch in Stellung gewesenen Panzerspähwagens. Ebenso getroffen das Haus der Familie Hövels. Dabei kamen Mutter, Tochter und Großmutter ums Leben, ebenso ein Soldat, der sich im Hof aufgehalten hatte. Drei weitere Töchter hatten unsagbares Glück, sie waren zum Zeitpunkt außer Haus. Ich glaube, es ist schwerlich sich heute in die damalige Situation zu versetzen. Die Leute waren wie gelähmt, ja sie waren traumatisiert. Jeder hatte mit sich selbst zu tun, da das nicht für möglich gehaltene Szenario einer Bombardierung unverhofft und völlig unvorbereitet eingetreten war.
Schlusswort
Der Angriff auf Vettweiß droht im Gedächtnis der Bevölkerung in Vergessenheit zu geraten. Die damals am 30. November eingeführte jährliche Prozession zum Friedhof wird nicht mehr gehalten. Gleichfalls wurden die Gräber der getöteten Bewohner inzwischen eingeebnet obwohl ihnen ein ewiges Ruherecht zugestanden wurde. Es ist ein Anliegen des HGV dafür Sorge zu tragen, daß das Gedenken an den 30. November 1944, der zweifelsohne größten Katastrophe unseres Dorfes, nicht verloren geht. Möge der vorliegende Bericht dem geneigten Leser als Impuls dienen, sich mit der Geschichte unseres Ortes näher zu befassen.
Der Vorstand des HGVV freut sich auf ihre Anregungen und ihre Mitarbeit.