Zu den von Alfons Esser mit viel Fleiß und Akribie gesammelten Erinnerungsstücken, von denen ein jedes seine eigene Geschichte hat, gehören auch ein englischer Pferdekummet sowie ein vergilbtes Foto, vier englische Soldaten darstellend.

4 31Auch das Dorf Vettweiß wurde von englischen Einheiten besetzt. Das einzige Bilddokument aus dieser Zeit zeigt nebenstehendes Bild, vier englische Soldaten vor dem Saal Hülden.

Es handelt sich um Mitglieder des Royal East Kent Regiments mit Hauptquartier in Canterbury.

In seiner langen Geschichte, die auf das Gründungsjahr 1572 zurückgeht, wurde es im gesamten Britischen Empire eingesetzt.

Die Rekrutierung seiner Soldaten fand vor allen Dingen in Kent (Süd-Osten von England) statt. Die Größe des Regiments schwankte zwischen 500 und 1000 Soldaten.

Das Royal East Kent Regiment ist auch unter dem Namen The Buffs bekannt, aufgrund der Farbe seiner Uniformen, d.h. gelb-braun (lederfarben).

Das Regiment besteht heute nicht mehr. Im Jahre 1961 wurden die Buffs mit dem „Queen’s own Royal West Kent Regiment“ fusioniert.

2 3Das Emblem des Regiments, welches die Soldaten an ihren Mützen tragen, ist ein sächsisches Drachenpferd.

Laut offiziellem Archivmaterial befand sich im Dezember 1918 das erste Bataillon der Buffs in Vettweiß, 43 Offiziere und 786 Mannschaften. Der verantwortliche Befehlshaber war Lt. Colonel R. McDouall.

Der Krieg war vorbei und das Regiment war überflüssig geworden. So begann seine Demobilisierung, die bis zum 15. März 1919 durchgeführt wurde. (Quelle: Historical Records  of The Buffs – East Kent Regiment 1914 – 1919).

Die auf dem Foto auf der linken Seite gezeigten Soldaten sind Sergeants (Feldwebel) mit zwei Streifen auf dem Oberarm der Uniform, der rechts stehende ist Sergeant Major (Oberfeldwebel). Er ist älter und wahrscheinlich erfahrener, mit mehr Dienstjahren und Einsätzen. Er ist möglicherweise WO2 (Warrant Officer) und hat damit den höchsten Mannschaftsrang. Da sie keine Krawatten tragen, handelt es sich nicht um Offiziere.  

Die links im Bild stehen oder sitzenden Soldaten sind entweder Freiwillige oder Berufssoldaten. Gegen die These Berufssoldaten spricht, daß die britische Berufsarmee in den ersten Tagen und Wochen des Ersten Weltkrieges nahezu vollständig aufgerieben und mit Freiwilligen wieder aufgefüllt wurde. Die allgemeine Wehrpflicht wurde in England erst im Jahre 1917 eingeführt.

Der rechtsstehende Oberfeldwebel ist mit Sicherheit ein Berufssoldat.

Die Orden des Oberfeldwebels sind aus der Zeit vor dem ersten Weltkrieg. Es handelt sich um den QSA Orden (Queen’s South African Medal) und den KSA Orden (King’s South Afrikcan Medal). Sie sind seinem Träger wahrscheinlich aufgrund seiner Verdienste im Burenkrieg (1899 -1902) verliehen worden.

Bei dem Stock in der Hand des Berufssoldaten handelt es sich möglicherweise um einen Swagger Stick, einem traditionellen Zeichen von Autorität und Rang.

Der sitzende Feldwebel war sicherlich in Kampfhandlungen verwickelt, denn er trägt zwei Verwundetenabzeichen auf seinem Arm.

Ein Fraternisierungsverbot zwischen der deutschen Bevölkerung und der englischen Besatzung gab es nicht. So ist es den englischen Soldaten zu verdanken, daß sie die Vettweißer Jugend für den Fußballsport interessierten und begeisterten. Im Endergebnis führte dies zur Gründung des Vereins für Rasensport 1919 e.V., der in diesem Jahr sein hundertjähriges Jubiläum feiern konnte.

Und nun zum Kummet:


4 3Aus den Erzählungen des am 15.02.1900 auf dem Frohnhof in Vettweiß geborenen und dort auch am 22.07.1980 verstorbenen Landwirtes Lambert Courth ist zum Kummet folgendes zu berichten:

Wie vorstehend dargestellt lagen nach Beendigung des ersten Weltkrieges in Vettweiß für kurze Zeit englische Besatzungstruppen. Es handelte sich um bespannte Einheiten, die sowohl über Pferde als auch über Maultiere verfügten.

Bei den Maultieren handelte es sich um eine Kreuzung zwischen Hauspferdstute und Eselhengst. Sie kamen in der englischen Armee vielfach zum Einsatz. Sie waren bekannt und beliebt wegen ihrer Zähigkeit und Genügsamkeit und wurden ausschließlich für logistische Zwecke, d.h. zum Ziehen von Lasten eingesetzt.

Gefüttert wurden die Mulis überwiegend mit aus den damaligen englischen Kolonien importiertem Johannisbrot. Für die Dorfjugend war der Diebstahl des Johannisbrotes ein beliebter Sport, denn es schmeckte gut und war dazu auch noch nahrhaft.

Die Zeit der englischen Besatzung war in Vettweiß nur von kurzer Dauer. Am 05.11.1919 zogen die Engländer ab und überließen das heimische Terrain den Franzosen.

Mit dem Ende der Besatzungszeit war dann auch die große Zeit der Pferde in der englischen Armee vorbei. Die englischen Einheiten verließen den Kontinent, nahmen jedoch die meisten Pferde nicht mehr mit auf die Insel. Sie wurden im Geschirr verkauft und damit anderen Nutzungen zugeführt. Vielfach wurden sie auch geschlachtet.

Lambert Courth, der seit dem Jahre 1917 seinen elterlichen Hof bewirtschaftete, hat damals ein Maultier von dem Pferdehändler Leo Liffmann erworben. Ähnlich handelten viele Landwirte. Liffmann war ein renommierter Pferdehändler in Düren. Seine Stallungen befanden sich in der Arnoldsweiler Straße Nr. 18, also in unmittelbarer Nähe des heutigen Stadtmuseums.

7Als Ackerpferde waren die Maultiere für die Bewirtschaftung der schweren Böden in der Zülpicher Börde jedoch wenig geeignet. Sie konnten das rheinische Kaltblut nicht verdrängen und verschwanden mit und mit aus der Landwirtschaft.

Die reichhaltige Zusatzausstattung des Kummets zeigt eindeutig, daß es sich um einen für militärische Zwecke eigens konstruierten Kummet handelt. Es ist davon auszugehen, daß das Leder ursprünglich in Naturfarben war. Da die Pferdegeschirre in früheren Zeiten grundsätzlich getrant, d.h. mit dunklem Fischfett haltbar gemacht wurden, wurde der Kummet auch dieser Prozedur unterzogen und erhielt somit seine heutige Färbung.

Die Bedeutung der Pferde in den damaligen Armeen ist für uns heute unvorstellbar. So ergibt sich aus der einschlägigen englischen Literatur folgendes:

In Friedenszeiten verfügte die englische Armee normalerweise über 25 000 Pferde. Im ersten Weltkrieg wurde deren Pferdebestand drastisch erhöht; im Jahre 1917 waren es 1 Million Tiere. Die Verluste waren außergewöhnlich hoch. Es kamen 484 000 Tiere um, eine unvorstellbare Zahl.

Ähnlich war es bei den übrigen kriegsteilnehmenden Nationen. Die Pferde galten als Verbrauchsmaterial. Genaue Zahlen liegen nicht vor. Man schätzt, daß im ersten Weltkrieg ca. 15 Mio. Pferde verloren gingen. Allein in Deutschland sollen es 1,5 Millionen Tiere gewesen sein.

Zum Abschluss gilt unser besonderer Dank dem aus Vettweiß stammenden und nun in England lebenden Lambert Courth sowie seinem Freund Major General Jonathan Bailey, einem Experten in englischer Miltärgeschichte. Beide haben durch ihre Nachforschungen wesentlich dazu beigetragen Licht in ein Kapitel unserer Dorfgeschichte zu bringen.