Stefan FroehlingDie ersten Meldungen von einem gefährlichen, lebensbedrohendem Virus wurden im Dezember 2019 aus China, die Stadt Wuhan betreffend, verbreitet.

Dies wurde in unseren Breiten geflissentlich zur Kenntnis genommen, China ist in weiter Ferne. Auch die Nachricht, dass die Millionenstadt Wuhan von der Außenwelt komplett abgeriegelt wurde, war für den Rest der Welt noch nicht besorgniserregend.

Als sich im Januar und Februar 2020 die Meldungen intensivierten, das Wort von der Pandemie gebräuchlich wurde, die Anzahl von Infizierten und die der Toten von Tag zu Tag anstieg, da wurde die Aufmerksamkeit auch in Europa mehr und mehr geweckt. Aber so richtig ernst genommen wurde Corona erst Anfang März. Ab diesem Zeitpunkt ist alles schnell gekippt und ebenso schnell wurde, wie nachstehend, gehandelt.

Das Virus Covid-19, als Corona-Virus geläufig, breitete sich schließlich rasend schnell weltweit aus. Deutschland wurde nicht ausgespart. Regierungen waren nun am Zuge die Pandemie einzudämmen, wozu strikte Gebote und Verbote unabdingbar waren. Produktionen wurden eingeschränkt, Versammlungsverbote verfügt, Schulen, Kitas, Kneipen und Restaurants wurden geschlossen. Das öffentliche Leben wurde sehr eingeschränkt und kam in den ersten Wochen einem Stillstand gleich.

Viele Betroffene konnten sich des Eindruckes nicht erwehren und meinten dies lautstark erklären zu müssen, dass die Verfügungen, die Verbote, das eingeschränkte Leben schlimmer seien als die Lebenssituation im letzten Krieg.

Hier muß ich deutlich widersprechen und alle, die den Krieg erlebt haben, werden sich sicherlich meiner Meinung anschließen. Wenn ich auch diese Zeit als Kind erlebte, so sind die Nöte, die Gefahren, die Ängste, die fast alle Familien durchlebten, im Gedächtnis haften geblieben.

Die Versorgung der Bevölkerung war vor allem in den letzten Kriegsjahren mehr als angespannt. Die Leute hatten wenig bis sehr wenig zum Leben. In den meisten Familien, besonders in denen der Ehemann, der Vater als Soldat im Krieg war. Die Sorgen der alleinerziehenden Frauen waren unverkennbar, doch dies mit Jammerei vor den Kindern auszudrücken, dies lag den Müttern fern.

Abends waren die Fenster laut Verfügung zu verdunkeln, Licht anmachen war verboten. Als Lichtquelle dienten Wachslichter, auch Hindenburglichter genannt.

Fast steter Fliegeralarm bei Nacht, aus dem Schlaf gerissen. Während meine Mutter, der Vater war als Soldat im Krieg, in aller Hast meinen kleinen Bruder auf die Schnelle notdürftig anzog, verfolgte ich von draußen die vielen Lichter am Himmel, die die Flugzeuge markierten. Faszinierend für mich, aber die Gefahr verkennend. Ab in den Keller oder den nächsten Bunker in der Nachbarschaft aufgesucht.

Am Tage war, so man sich im Freien aufhielt, äußerste Vorsicht geboten. Tiefflieger waren eine sehr große Gefahr. Urplötzlich tauchten sie auf, ihre Angriffe endeten oft tödlich. So wurde ein Milchtransporter, ein Tankwagen, von Köln aus kommend, kurz vor Gladbach von einem Tiefflieger angegriffen. Dabei verloren der Fahrer und sein ihn begleitender Sohn ihr Leben. Aufgebahrt wurden beide für mehrere Tage im Feuerwehrgerätehaus, das sich gegenüber unserem Haus in der Olliggasse (heute Petrusstraße) befand. (Der Name Olliggasse rührt daher, daß ganz in der Nähe eine Ölmühle betrieben wurde, erstmals im Jahre 1822 erwähnt, die aber im Jahre 1910 stillgelegt  wurde und deren Anlagen 1957 komplett verfallen waren.)Die Zerstörung der Stadt Düren am 16. November 1944 konnte die Gladbacher Bevölkerung verfolgen. Fluglärm und Feuerschein trieben die Leute an den Dorfrand, von wo aus sie das Ausmaß der Zerstörung nur erahnen konnten. Der durch die Bombardierung verdunkelte Himmel ließ Böses erahnen, was sich sehr bald bestätigen sollte.

Auch Gladbach wurde von einer Bombardierung nicht verschont, wenn auch nicht in dem zerstörerischen Ausmaß wie Vettweiß. Weihnachten 1944 war die in der Dorfmitte befindliche Gaststätte samt Nebengebäuden einem Angriff ausgesetzt, dem Zivilisten und mehrere Soldaten zum Opfer fielen. Der Bombenteppich setzte sich bis zum Friedhof fort, wobei eine Anzahl von  Gräbern verwüstet wurde. Auf Anordnung der Militärregierung vom 06. Juni 1945 mußten alle Friedhöfe, auch Judenfriedhöfe in kürzester Zeit in Ordnung gebracht werden. Einzusetzen waren vordergründig, so der Erlaß, stramme Nazi Parteimitglieder.

Der Krieg ging seiner Endphase entgegen. Dies war für uns Kinder nicht so recht auszumachen, doch insgeheim werden sich Personen in vertrautem Kreis schon darüber unterhalten haben. Der Unterhaltungsmodus war erkennbar in einen Flüsterton hinter vorgehaltener Hand übergegangen.

Ein weiters Ereignis von Ende 1944 hat sich tief in meinen Erinnerungen festgesetzt. Vor unserem Haus wurde eine Panzersperre errichtet. Polnische und russische Kriegsgefangene, die in einem gegenüber liegendem Saal untergebracht und als landwirtschaftliche Helfer eingesetzt und dem menschenverachtenden System ausgeliefert waren, mussten die Erdarbeiten (Schanzarbeit) zum Einsetzen von großen, wuchtigen Baumstämmen verrichten. Wir Kinder schauten der Arbeit von unserem Haus aus interessiert zu.

Panzersperre

Einige der Arbeiter hielten für einen Moment mit der Arbeit inne, um sich aus Zeitungspapier und getrockneten Baumblättern Zigaretten zu drehen. Zum gleichen Zeitpunkt näherten sich zwei mit Nazisymbolen uniformierte Männer, die die dörflichen Parteiposten weidlich und schikanierend ausübten, dem Arbeitsplatz. Sie hatten das kurze Innehalten der Gefangenen und die Lust auf die Zigarette bemerkt. Lauthals beschimpften sie diese und schlugen mit brutaler Härte und haltlosen Verwünschungen auf die Gefangenen ein. Kraft ihrer Uniform fühlten sie sich ohne Widerspruch zu allem berechtigt.

Nach ihrem Verschwinden reichte meine Mutter den so Geschlagenen Getränke und Butterbrote, die hastig verzehrt wurden.

Kurze Zeit später erschienen die Schläger erneut an der Schanzstelle und beschimpften nun meine Mutter lautstark wegen ihrer Hilfe den Gefangenen gegenüber. Sie forderten meine Mutter auf, unverzüglich mitzukommen, sie habe sich für ihr Tun, der Zersetzung, an höherer Stelle zu verantworten. Was dies zu dieser Zeit bedeuten konnte und welche willkürlichen Strafen ausgesprochen wurden, war allseits bekannt. Die Mutter setzte sich aber in einer hohen Tonlage den beiden Parteigenossen gegenüber zu Wehr. Dazu mein lautes und andauerndes Weinen, das Schreien meines jüngeren Bruders, die herbeieilenden Nachbarn, hielt sie schließlich von ihrem Vorhaben ab.

Kurz nach Weihnachten 1944 kam der Evakuierungsbefehl. Auf einem großen Ackerwagen mit Pferdegespann war für Mutter und uns Brüder, neben acht weiteren Personen, Platz angewiesen worden. Das allernötigste an Kleidung durfte mit. Aus Furcht vor Tieffliegern wurde ein regenverhangener Tag zur Abreise abgewartet. Vorgegebenes Ziel war erstmals Berzdorf nahe Wesseling, das wir unter dem gut vernehmbaren Geschützdonner aus Richtung Eifel unbeschadet erreichten. Dann weiter per Fähre über den Rhein.

Ende März, die Amerikaner hatten bei Remagen den Rhein überquert, und waren nun auf dem Vormarsch in Richtung Berlin.

Soldaten Gladbach

Eine aufkommende Nervosität war unter den Evakuierten auszumachen. Der Drang auf den Heimatort steigerte sich täglich. Dann endlich die Genehmigung. Richtung Köln, Entlausung, mit dem Pferdefuhrwerk die Rheinquerung über die von Amerikanern angelegte Pontonbrücke. Für mich ein ausgemachtes Erlebnis.

Unversehrt erreichten wir am 2. April 1945 unser Heimatdorf Gladbach, wo uns die nächste Überraschung erwartete. Die bei der Abreise verschlossenen Hof- und Haustüren waren aufgebrochen. Ungebetene Gäste hatten sich reichlich an Haushaltsgeräten sowie an Kleidung bedient. Doch mit der Zeit bot sich meiner Mutter die Gelegenheit so manches Teil im Ort zu identifizieren und heim zu holen, wie sie sich stets salopp auszudrücken pflegte.

Von der geschilderten Panzersperre zeugten die am Straßenrand liegenden Baumstämme, deren man sich als Brennmaterial bedienen konnte, da sie die Amerikaner nur für ca. 5 Minuten aufgehalten hatten, aber immerhin.

Zu unser aller Überraschung war in der Gemarkung Vettweiß, Kelz und Gladbach von den Amerikanern ein Feldflugplatz angelegt worden, der vom 24. März bis Ende April von Kampfverbänden genutzt wurde. Danach diente er, bis zu seiner Schließung Ende Juli 1945, als Versorgungsplatz für Nachschub und  Abtransport von Verwundeten.

Dieser Feldflugplatz war für Gladbacher Bürger, wenn ich so sagen darf, ein „Geschenk“. Jeden Nachmittag kam von dort ein Militärfahrzeug, beladen mit Essensresten. Diese wurden in einer großen ausgehobenen Grube am sogenannten „Erperberg“, in der Nähe der heutigen Festhalle, entladen. In diesen Resten wurde nach Essbarem gesucht. Mit Glück fand man verschlossene Dosen oder Pakete, die mit Milchpulver, Käse oder auch Wurst gefüllt waren. Oftmals ging so mancher Suchende enttäuscht nach Hause, vom Hunger begleitet, oder aber hoch erfreut, für sich und die Familie mit Essensresten aus der Grube die Sorge auf Lebenshaltung für kurze Zeit minimieren zu können.

Wenn ich nun die vielfach vorgebrachte Meinung, die Corona Krise, diese Verfügungen und Verbote seien schlimmer als die Situation im letzten Krieg, höre, dann beschleicht mich ein Gefühl von Unverständnis, ja der Wichtigtuerei von Nichtsahnenden.

In den Kriegsjahren 1944 und 1945 waren Schulen und Kindergärten weitestgehend geschlossen. Ab Kriegsende die Bewegungsfreiheit durch die Besatzer verboten, wenn, dann auch nur mit Genehmigung erlaubt. Diese Einschränkung wurde erst ab August 1945 minimal gelockert. Mütter, deren Ehemänner, mein Vater wurde erst in der 2. Hälfte des Jahres 1947 aus russischer Gefangenschaft entlassen, sich noch in Kriegsgefangenschaft befanden, waren alleinerziehend, Hausfrau, Landarbeiterin und Ernährerin in einer Person, oftmals noch Eltern und/oder Großeltern mitversorgend. Alte und kranke Familienmitglieder wurden ausnahmlos zu Hause gepflegt.

Was den Frauen aber fern lag, war eine dauernde Jammerei, dazu reichte die Zeit einfach nicht, was auch noch einen Unterschied zur heutigen Corona Pandemie ausmacht.

Wer die Wirren des Krieges erlebt hat, wird ein festes Urteil darüber abgeben können, ob die derzeitigen Beschränkungen, hervorgerufen durch die Pandemie, den Verfügungen und Erlebnissen des Krieges gleichzusetzen sind.

Hier das Corona-Virus, ein gefährliches die Gesundheit des Menschen angreifendes und oft den Tod herbeiführendes Virus, das nur durch einen Impfstoff gänzlich zu kontrollieren sein wird.

Dort die Lasten des Krieges. Verantwortlich dafür ein „Virus“, wie es menschenverachtender, diskriminierender, verbrecherischer und mordender nicht hätte sein können, das schließlich nur mit kriegerischen Mitteln gestoppt werden konnte.

Meine Mutter hat noch während des Krieges und in Bezug auf die schikanierenden Parteibonzen, für die die Bekleidung eines Parteiposten quasi einem Lebenswerk gleichkam, ein Gedicht verfasst, welches bei Dunkelheit, unter größter Gefahr für Leib und Leben, an manchem Baum angebracht wurde und mit folgenden Worten endete:

Leev glabije Löck, drängt üch net aan e Pössje
halt üsch zuröck.
Dä Kreeg jed vorbei, on me kann wedde alles hann,
dann es wedde jeder en Glabig ene eenfache Mann.