Otto SchwechtWenn man das Dorf Vettweiß von Gladbach aus betritt, dann trifft man auf zwei historisch interessante Industriegebäude.

Am Seelenpfad liegt die zur Ruine verfallene alte Krautfabrik. Das Gebäude hat eine wechselvolle Geschichte. Es wurde im Jahre 1873 als Dampfmühle erbaut, bereits jedoch nach vier Jahren geschlossen. Danach wechselten immer wieder die Eigentümer und mit ihnen auch die betriebliche Nutzung. So wurde in den Jahren 1912 bis 1917 eine Pappenfabrik betrieben, die jedoch wegen Wassermangel nicht rentierlich arbeiten konnte. Schließlich wurde von der Familie Beys aus Aldenhoven eine Krautfabrik, genannt et Prüppes betrieben. Auch die Krautfabrik besteht nicht mehr.

Geht man über die Bahngleise ins Dorf, fällt sofort das gut erhaltene Gebäude der alten Molkerei ins Auge. Es handelt sich um einen architektonisch wohl gelungenen der Milchverwertung dienenden Zweckbau, der zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts errichtet wurde.

Nachdem am 20.06.1869 in Düren die erste Zuckerfabrik Schoeller Peill & Co gegründet und der Anbau der Zuckerrübe nach Anfangsschwierigkeiten immer mehr ausgedehnt wurde, so auch in Vettweiß, mussten die Bauern in der Bewirtschaftung des Ackerbodens völlig neue Wege gehen. Dazu gehörte auch die verstärkte Humusversorgung der Böden durch Stallmist, welche nur durch die Vergrößerung der Milchviehbestände erreicht werden konnte.

Molkerei 1961Molkerei 2016

Die Bauern vergrößerten ihre Kuhställe und stockten die Milchviehbestände beträchtlich auf. So gab es allein in Vettweiß annähernd 200 Milchkühe, deren Milch nun zu einem Vermarktungsproblem wurde.

Bisher wurden die Kühe von den Mägden und der Bäuerin gemolken. Die gewonnene Frischmilch wurde mittels Leinwandtüchern gefiltert und gesiebt. Dann wurde sie in flachen Abrahmschüsseln aus Ton oder Steingut aufgestellt. Nach kurzer Zeit setzte sich der Rahm, auch Schmant genannt, oben ab. Er wurde abgeschöpft und im hölzernen Stoß- oder Drehbutterfass zu Butter verarbeitet. Das Buttern war eine mühselige Arbeit, die meist von den Großeltern oder auch den größeren Kindern erledigt werden mußte. Wenn der Ausdruck fiel: „Mir mösse höck un Morje driene,“ dann wusste jeder, dem der Spruch zu Ohren kam, daß das Butterfass gedreht werden mußte.

Bauernhof 1884Butterfass 1835

Das Melken der Kühe sowie das Buttern hatte im landwirtschaftlichen Betrieb einen hohen Stellenwert. Hiervon berichten viele alte Sprichworte, die man heute vereinzelt noch hören kann.

Beispiele:

„Dä Ühm hammer ävver ens jemolke“ = Wir haben dem Onkel viel Geld abgenötigt.

„Bei demm es nix mih zo melke“ = Bei dem ist nichts mehr zu holen

„Dä hätt de Rohm afjeschepp“ = Der hat den besten Teil bekommen, z.B. bei Erbteilungen

„Si Jeseech wood su wieß wie Klatschkies“ = Sein Gesicht wurde so weiß wie Klatschkäse.

„Dä hätt en Hätz wie Botter“ = Er ist so weich, so gut

„Alles en Botter“ = Alles ist in bester Ordnung.

„Er weiß och wat de Botter jilt“ = Er weiß Bescheid

Hinsichtlich der Milch waren die Vettweißer Bauern um die Jahrhundertwende noch Selbstversorger und Selbstvermarkter zugleich. Sie machten Butter und Quark für den eigenen Bedarf. Frischmilch und Buttermilch wurden in der Küche verarbeitet. Mit der Magermilch wurden die Schweine gemästet.

War der Eigenbedarf gedeckt, wurde der Überschuss an feste Privatkunden und Kolonialwarenhändler in Stadt und Land verkauft. Es kann sich aber nur um kleine Mengen gehandelt haben.

Anders war die Situation am Rande der damaligen Großstadt Köln. Es wird berichtet, daß die Bauern aus der damals noch selbstständigen Gemeinde Poll die Milch täglich durch Esel nach Köln transportierten. Die Esel trugen an beiden Seiten große Kannen mit frischer Milch, die dann an den Haustüren verkauft wurde; damals in Köln ein gewohntes Bild. Die Bürger von Poll nannte man damals und auch heute noch nur „die Poller Melchäsele“. Zur Erinnerung an diese Zeit haben die Bürger aus Köln Poll in ihrem Stadtteil ein entsprechendes Denkmal errichtet.

Die bereits erwähnte Aufstockung der Milchviehbestände verbunden mit einer beträchtlichen Zunahme des Milchaufkommens erforderte einschneidende strukturelle Veränderungen. Die Mägde und die Bäuerinnen waren nicht mehr dazu in der Lage die Kühe zu versorgen und zu melken. Diese Arbeit wurde dann von zugewanderten oder angeworbenen Viehpflegern übernommen, die vornehmlich aus der Schweiz und aus Holland stammten und allemal nur „Schweizer“ genannt wurden.

Zudem gründeten unter der Federführung und überzeugenden Vorarbeit durch Herrn Otto Schwecht aus Dirlau die Bauern im Jahre 1900 bei einer Interessentenversammlung die Vereinigung der Milchbauern von Vettweiß und Kelz mit dem Ziel eine Molkerei in Vettweiß zu bauen. Der Standort war günstig, lag er doch unmittelbar an der Bahnstrecke, der damals gut funktionierenden Reichsbahn.

Als Gründungsmitglieder sind im Protokollbuch namentlich aufgeführt die Herren Kranz, Franz Courth, Louis Rey, Anton Dahmen, Anton Schumacher, Fritz Vonderbank, Peter Courth und Hermann Reufsteck.

Der Vereinigung der Landwirte traten folgend nicht nur Landwirte aus Vettweiß und Kelz bei, es schlossen sich auch die Milchbauern aus den Orten Gladbach, Froitzheim, Ginnick, Jakobwüllesheim und Soller, quasi aus dem gesamten damaligen Gemeindegebiet an.

Etwas abwartend, baten später noch die Landwirte aus Thum, Frauwüllesheim, Binsfeld und Rommelsheim um Aufnahme.

Ähnlich wie in Vettweiß ist die Entwicklung auch in Zülpich und an vielen Zentralorten des rheinischen Raumes verlaufen. Es wurden Molkereien gebaut um der steigenden Nachfrage nach Milch und Molkereiprodukten in den Städten gerecht zu werden. Zudem hat die technische Entwicklung durch den Bau von speziellen Dampfmaschinen, Zentrifugen, Kühlanlagen und Butterungsanlagen wesentlich dazu beigetragen.

So waren Milch und Butter zum „weißen Gold“ geworden, was eine gesunde Ernährung der Bevölkerung garantierte. Für die Bauern wurde die Milchwirtschaft auch zu einer tragenden Einkommensquelle.

Insbesondere in Zeiten des Mangels und der Bewirtschaftung wurde die Butter zu einer eigenen Währung und war als Tauschobjekt sehr begehrt. Es gab sie nur in bescheidenen Mengen gegen Buttermarken. Mit Butter bzw. Buttermarken konnte man alles kaufen.

Bau der Molkerei

Nach der Gründungsversammlung im Jahre 1900 mit dem Beschluss zum Bau einer Molkerei liefen die Planungen auf Hochtouren. Die gesamte Planung oblag dem Kölner Architekten Franz Kramer. Dieser reichte bereits am 20. Februar 1901 die fertigen Pläne auf Baugenehmigung ein. Diese wurde unverzüglich erteilt und man konnte mit dem Bau beginnen. Bereits in 1902 war das Gebäude errichtet und die technische Einrichtung bestehend aus der Dampfmaschine, mehreren Zentrifugen, einer Kühlanlage sowie einer Erwärmungsanlage zur Pasteurisierung der Milch installiert.

Molkerei 1909Molkerei 1904

Die fehlende Rampe wurde durch den Vettweißer Zimmermeister Johann Schmitz gefertigt und installiert. Die Elektrifizierung war auch gesichert, da Vettweiß im Frühjahr 1902 komplett an die öffentliche Stromversorgung angeschlossen war. Die Wasserversorgung war auch kein Problem; man hatte einen eigenen Brunnen gegraben, der ausreichend frisches Gebrauchswasser hergab. Erst zwischen 1912 und 1914 waren alle Vettweißer Haushalte, so auch die Molkerei, an das vom Wasserwerk Froitzheim gespeiste Wasserleitungsnetz angeschlossen. Die anfallenden Abwässer der Molkerei wurden in den Griesbach geleitet. Kläranlagen kannte man nicht.

So konnte die Produktion am 01. Oktober 1902 beginnen. Als Produkte standen an: Frischmilch, Sauerrahmbutter, Rahm, Speisequark und Schichtkäse. Die angefallene Magermilch wurde den Lieferanten zurückgegeben und von diesen als Viehfutter verwertet. Manchmal mussten die Bauern über 80 % ihrer angelieferten Milch als Magermilch zurücknehmen, eine Handhabung, die nicht immer gerne gesehen wurde.

In der Gründungsversammlung vom 04.02.1900 hatten die Bauern für ihr Unternehmen die Rechtsform der Genossenschaft gewählt. Die Firmenbezeichnung lautete:

Molkerei vereinigter Landwirte eGmuH

Das Unternehmen hatte einen neunköpfigen Vorstand mit Otto Schwecht als Vorsitzendem und einen Aufsichtsrat, bestehend aus fünf Personen.

Zum kaufmännischen Betriebsleiter wurde Herr Axer aus Lüxheim und zum technischen Betriebsleiter Herr Heiler bestellt.

Im Protokollbuch des Vorstandes ist eine gesamte Investitionssumme von 54.000,00 RM für das Molkereigebäude, von 21.000,00 RM für die Maschinen und von 10.000,00 RM für Milchwagen, insgesamt 85.000,00 RM vermerkt. Die Finanzierung erfolgte über die Landesbank in Düsseldorf.

Bei den Milchwagen handelte es sich um Pferdefuhrwerke, die für den Milchtransport hergerichtet wurden. Der Milchkutscher fuhr in seinem Bezirk die jeweiligen Bauernhöfe an, lud die gefüllten Milchkannen auf seinen Wagen und fuhr sie zur Molkerei. Dort mußte er die vollen Kannen auf die Rampe und das Transportband hieven und diese nach Entleerung zu den einzelnen Bauernhöfen zurückbringen. Die Fuhrvergütung war für die Fuhrleute eine damals angemessene Entschädigung. So erhielt der Milchkutscher aus Soller für seinen Milchtransport aus Soller und Gut Veitzheim einen Fuhrlohn von 3,50 RM täglich. Der Milchkutscher für die Orte Binsfeld, Frauwüllesheim und Kelz wurde im Jahre 1907 mit 7,50 RM täglich für seine Transportleistung bezahlt.

Die letzten Milchkutscher aus Vettweiß waren Peter Courth und sein Sohn Peter Gabriel. Sie waren Eigentümer von zwei schweren belgischen Rappen und sammelten die Milch in Vettweiß und Kettenheim ein. Mit der Einführung von Milchsammelwagen war ihre Tätigkeit beendet.

Erntedank 1936Tankzug 1956

Die Pfarre St. Gereon unter Leitung des damaligen Pfarrers Matthias Pünder plante im Jahre 1906 die Errichtung eines Kreuzes unmittelbar an der Molkerei. Der Bitte von Pfarrer Pünder um eine angemessene Spende hatte der Vorstand in seiner Sitzung vom 15.07.1906 auch entsprochen und 100,00 RM gespendet. Das große sandsteinfarbene Kreuz wurde unverzüglich errichtet und besteht heute noch als ein markantes christliches Denkmal des Unterdorfes.

Vordenker, Gründer, Förderer

Der am 20.10.1850 geborene und am 20.04.1912 in Vettweiß verstorbene Otto Schwecht war der eigentliche Initiator, Vordenker, Gründer und Förderer der Molkerei. Er lebte in der von ihm in Vettweiß im Jahre 1904 erbauten Villa, die nach seinem Ableben an die Pfarre St. Gereon veräußert wurde. Kurzum, Otto Schwecht war als Landwirt auch Unternehmer mit Leib und Seele und hat als ehrenamtlicher Molkereidirektor die Molkerei vereinigter Landwirte mit großem Erfolg geführt.

In Kenntnis dessen trafen sich am 04.06.1909 Vertreter des Vorstandes und des Aufsichtsrates um über eine Ehrung ihres Molkereidirektors zu beratschlagen. Seinem unermüdlichen Einsatz für und seit der Gründung der Molkerei sowie der überaus florierenden Produktion sollte angemessen gedankt werden.

Sie entschieden, eine Büste von Herrn Otto Schwecht durch den Kölner Bildhauer Faßbinder anfertigen zu lassen. Der Preis für die Büste und deren späterer Anbringung an der Vorderfront der Molkerei wurde durch den Bildhauer mit 2.750,00 RM veranschlagt und als solcher auch einstimmig genehmigt.

Der Tag der Ehrung nahte. Vorstand, Aufsichtsrat und viele Mitglieder der Genossenschaft mit ihren Angehörigen geleiteten Herrn Otto Schwecht von seiner Villa aus (heute „das Kloster“) am 03.10.1909 in einem Festzug zum Saale Hülden, wo der Molkereidirektor, nichtsahnend, seine eigene Büste enthüllte. Nach wohlgesetzten Festreden mit anschließendem Tanz  wurde eine rundum gelungene Veranstaltung bestätigt.

Otto SchwechtGedenktafel

Im August 1912 verabschiedete sich der Betriebsleiter Axer in den Ruhestand. Zu seinem Nachfolger wurde der Molkereifachmann Heinrich Josef Dohmen bestellt.

Weiterentwicklung

Bei steigender Milchanlieferung sind eine fortlaufende Modernisierung und Erweiterung der maschinellen Anlagen unerlässlich und werden auch durchgezogen.

Und nun zu Josef Dohmen: Er war von Anfang an überzeugter Nationalsozialist. Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) im Jahre 1933 wurde er bald Ortsgruppenleiter der NSDAP für Vettweiß.

Er wird am 09. November 1938 als Anführer derjenigen Genossen auftreten, die die Vettweißer Synagoge schänden. Das gesamte Mobiliar befiehlt er zum Abtransport in die Molkerei wo es der Befeuerungsanlage zugeführt wird. Es wird berichtet, daß sakrale Gegenstände heimlich auf dem Speicher der Molkerei versteckt wurden, wie sich Jahre später herausstellen sollte.

Bei einer Revision durch den gesetzlichen Prüfungsverband im Jahre 1940 wurden beträchtliche Unregelmäßigkeiten aufgedeckt. So wies der Jahresabschluss eine Unterbilanz von 100.000,00 RM aus, Protokolle waren gefälscht, 40 Zentner Butter fehlten, verdorbene Milch, monatliche Rechnungen von jeweils 100,00 RM für angebliche Schweinehaltung wurden festgestellt.

Die Bauern sahen den Zeitpunkt für gekommen, sich des meist herrisch auftretenden, aber durch die Partei gestützten Betriebsleiters Dohmen zu entledigen.

Dohmen stellte auf einer einberufenen Mitgliederversammlung die Bedingung auf Pensionszahlung. Er machte eine monatliche Rente von 400,00 RM bis zu seinem Ableben geltend, ferner monatlich 200,00 RM für seine Ehefrau, sollte diese ihn überleben. Die Versammlung wies diese Forderungen uneingeschränkt zurück. Doch Dohmen hatte vorgesorgt. Er war mit hochdekorierten Parteibonzen erschienen, die unmissverständlich Partei für ihren Genossen ergriffen. Die Versammlung mußte zustimmen.

Bemerkenswert ist, daß die von Dohmen zu verantwortenden Unregelmäßigkeiten vor einem deutschen Gericht nie zur Anklage kamen. Ein Prozess hat nie stattgefunden; man konnte einen verdienten Nationalsozialisten ja nicht fallen lassen. Im Gegenteil, er erhielt eine angemessene Stelle im Kreis Eupen Malmedy.

Nach Kriegsende stellte die Genossenschaft die Zahlungen an Josef Dohmen unverzüglich ein. Seine angeblichen Ansprüche aus den ersten Nachkriegsjahren waren inzwischen auf 11.000,00 DM angewachsen. Jetzt zog er klagend durch zwei Instanzen auf Einhaltung der im Jahre 1940 geschlossenen Vereinbarung. Beide Male unterlag er. Die Berufungskammer des Kölner Arbeitsgerichts wies seine Klage letztendlich mit der Begründung ab, daß das Abkommen nur deshalb geschlossen worden sei, weil Dohmen damals in Begleitung eines respektablen Parteibonzen Aufgebots an der Versammlung teilgenommen habe. Deren einzige Aufgabe habe darin bestanden, Druck auf die Generalversammlung auszuüben und den Pensionsvertrag zu Gunsten ihres Parteigenossen Dohmen zu akzeptieren.

Die Milchverwertung und Milchversorgung wurde von der Kreisbauernschaft Düren im Jahre 1931 als äußerst mangelhaft gewertet. Die Weltwirtschaftslage mit ihrer ganzen Trostlosigkeit und die katastrophale Lage in Deutschland verlangten nach Verbesserung. Trotz bestehender Möglichkeiten den Eigenbedarf der Bevölkerung mit Milchprodukten aus eigenen Ressourcen abzudecken, wurden Jahr für Jahr riesige Mengen aus dem Ausland eingeführt. Das kostete teure Devisen. Es entstand der Begriff der „Erzeugungsschlacht“. Steigerung des Milchaufkommens in Deutschland, Produktion und Vermarktung der Milch in größeren Einheiten sei das Gebot der Stunde.

So kam es, daß nach eingehender Vorarbeit am 03.02.1931 die Milchverwertung Düren eGmbH, bestehend aus den Molkereien Düren und Vettweiß. gegründet wurde. Im Jahre 1934 betrug deren gemeinsames Milchaufkommen 14.000.000 Liter.

Wie ging es nun weiter mit der Molkerei? Nachdem Josef Dohmen seines Amtes enthoben und die Molkerei verlassen hatte, wählte die Mitgliederversammlung einstimmig den Molkereifachmann Eduard Wood zum Geschäftsführer. Eduard Wood war britischer Abstammung. Durch die Neutralitätsregelung aus dem Jahre 1930 war er deutscher Staatsbürger geworden.

Unverzüglich nahm er seine Arbeit auf und zog mit seiner Familie in die geräumige Wohnung über der Molkerei ein.

Die letzten Kriegsjahre waren für die Landwirte und auch für die Molkerei eine große Herausforderung. Das Näherrücken der Front, Tieffliegerangriffe, Artilleriebeschuss und letztlich der Bombenangriff vom 30.11.1944 machten eine ordnungsgemäße Produktion unmöglich. Zudem war die Milchanlieferung quasi zum Erliegen gekommen, da die meisten Milchkühe in Richtung Rhein weggetrieben wurden. Die den Bauern aufgezwungene Ablieferungspflicht für die gesamte in ihrem Betrieb erzeugte Milch bestand nur noch auf dem Papier. Die Milcherzeugungsschlacht war verloren.

So wurde die Produktion Im Dezember 1944 zwangsläufig eingestellt und es folgte für die meisten Vettweißer Bürger der schwere Weg in die Evakuierung.

Das Molkereigebäude war wie so viele andere Bauten sich selbst überlassen und erlitt durch Vandalismus verursacht beträchtliche Schäden, insbesondere die technischen Anlagen.

Kurzfristig nahmen deutsche Soldaten die Molkerei in Beschlag und richteten dort eine Küche zur Versorgung der im Hürtgenwald kämpfenden Soldaten. Im Schutze der Nacht wurde das Essen an die Front gefahren, eine nicht immer ungefährliche Aktion.

Neustart

Anfang Mai 1945 kehrte Familie Wood aus der Evakuierung zurück. Man fand die Molkerei in einem desolaten Zustand vor. Zerstörte und nicht funktionsfähige Maschinen, zerschlagene Kacheln, verdreckte und von verendeten Nagern übersäte Produktionsräume. Großreinemachen stand über Wochen an. Mit amerikanischer Hilfe wurden die Maschinen instandgesetzt und auch neue beschafft.

Allmählich kommt die Produktion wieder in Gang. Handarbeit ist angesagt. So werden, Butter, Speisequark (Klatschkäse) und Schichtkäse per Hand abgepackt.

Die während des Krieges verordnete Bewirtschaftung von Milch und Butter galt auch für die erste Zeit nach dem Kriege. So waren diese Produkte nur gegen Lebensmittelmarken zu erhalten.

Mit der Währungsreform am 20. Juni 1948 kam die große Wende. Es gab die gute Deutsche Mark, alles war plötzlich da und man konnte alles kaufen.

Auch in Vettweiß kam der Umbruch. Ignaz Schauff eröffnet ein Milchgeschäft und betreibt einen ambulanten Handel in Milch und Milchprodukten. Er befährt den Ort zu festen Zeiten mit seinem motorisierten Dreirad und bietet seine Waren an. Per Glocke und durch das Gebell seines Hundes „Spitz“, der auf dem Dach des Wagens stand, machte er auf sich aufmerksam. Er verkaufte die Milch lose und schöpfte sie mit dem Litermaß in die von den Kunden mitgebrachten Kannen. Zusätzlich zur Milch war immer noch Zeit für ein kleines Schwätzchen, auch gerne als Dorfklatsch bezeichnet.

Schauff 1951Wood

Im Jahre 1950. verabschiedet sich Eduard Wood in den Ruhestand. Wie von dritter Seite berichtet, hatte er auf dem Speicher der Molkerei kurz nach dem Neustart der Produktion, gut versteckt, einen siebenarmigen Leuchter sowie mehrere Thorarollen gefunden, die offensichtlich der geschändeten Vettweißer Synagoge entstammten. Er übergab die Fundsachen Wilhelm Schwarz, der den Holocaust überlebt hatte und in der Nähe der Molkerei ein Viehgeschäft betrieb.

Die Nachfolge von Eduard Wood als Molkereileiter wurde dann Waldemar Lechelt, einem qualifizierten Molkereifachmann übertragen. Die Modernisierung voran zu treiben war sein erklärtes Ziel, das er mit viel Umsicht in die Tat umsetzte. So wurden moderne Verpackungsanlagen für Butter, Käse und Sahne in Betrieb genommen.

In der Milchanlieferung gab es einschneidende Veränderungen. Milchsammelwagen holten die Milch an den Bauernhöfen ab, Die Zeit der von Pferden gezogenen Milchwagen war unwiderruflich vorbei.

Das altersbedingte Ausscheiden verdienter Mitarbeiter sowie die weitere Technisierung im Betrieb erforderten neue gut ausgebildete Molkereifachleute. Der örtliche Markt für diesen Spezialberuf war leergefegt. Auf überregional geschaltete Stellenanzeigen bewarben sich unerwartet viele Interessenten aus weiten Teilen Deutschland. Die Vettweißer Molkerei hatte eben bundesweit ein hervorragendes Renommee.

Die neu eingestellten Mitarbeiter fanden die Arbeit in der Molkerei und den Ort Vettweiß als solchen angenehm und interessant. Auch das weibliche Geschlecht rückte zusehends in den Blickpunkt der Neuankömmlinge, die von der Bevölkerung wohlwollend mit dem ‚Beinamen „die Sahneengel“ betitelt wurden. So mancher „Sahneengel“ hat dann auch in Vettweiß die Frau fürs Leben gefunden.

Molkerei 1955Weihnachtsfeier 1954

Produktionsende und Schließung

Die wirtschaftliche Entwicklung geht weiter und der Zwang zu größeren Einheiten trifft auch die Milchwirtschaft, so auch die Vettweißer Molkerei.

Die zuständigen Verwaltungsorgane beschlossen die Produktion im Betrieb Vettweiß zum 31.12.1960 einzustellen und den gesamten Betrieb nach Düren zu verlagern. Nach 58 Jahren erfolgreicher Tätigkeiten gehörte die Vettweißer Molkerei jetzt der Vergangenhei an. Dem Kamin, das weithin sichtbare Zeichen der Molkerei, blieben noch 42 Jahre beschieden, bis er im Jahre 2002 per Hand abgetragen wurde.

Die Büste von Otto Schwecht, dem verdienten Gründer der Molkerei, wurde von der Fassade des Gebäudes entfernt und der Familie Schwecht aus Dirlau übergeben. Dort hat sie einen würdigen Platz im Park des Gutshofes gefunden.

Die Zusammenschlüsse von Molkereien gingen weiter, schienen offensichtlich unerlässlich für wirtschaftlich gesunde Produktions- und Vermarktungskapazitäten. Die Milchverwertungsgenossenschaft Düren fusionierte in 1967 mit den Molkereien Kall, Simmerath und Imgenbroich zur Verwertungsgenossenschaft Düren-Nordeifel. Im Jahre 1969 folgte ein weiterer Schritt. Die Milchverwertung Düren Nordeifel schloss sich mit den Molkereien des Aachener Raumes zur Milchversorgung Aachen-Düren-Nordeifel zusammen. Wer glaubte, daß mit dieser Fusion die Fusionierungswelle abgeschlossen sei, sah sich enttäuscht.

Es folgte der Weg nach Köln zur inzwischen mit den Milchwerken Bergisches-Land verschmolzenen Milchversorgung Rheinland. Auch das ist inzwischen Vergangenheit.

Die Entwicklung geht weiter.

Heute gehören sämtliche Molkereien zur Arla Foods Deutschland GmbH, einem Zusammenschluss von 12700 Bauern aus Schweden, Dänemark, Deutschland, England und Belgien. Wer hätte diese Entwicklung, die man auch als Globalisierung bezeichnet, je geahnt. Ob das alles zum Nutzen der Verbraucher und Milchproduzenten ist? Heute gibt es in Vettweiß keine Milchkuh mehr, im Jahre 1970 wurden noch 220 Milchkühe gehalten.

Was passierte nun mit dem schönen Gebäude, das bereits seit dem Jahre 1984 unter Denkmalschutz stand?

Weiterverwendung des Molkereigebäudes

Die Milchverwertungsgenossenschaft Düren veräußerte im Dezember des Jahres 1964 die Molkerei an die Bad-Godesberger Mineral – und Heilbrunnen Wietelmann & Co., die in dem Anwesen ein Getränkelager einrichtete.

Im Keller des Gebäudes, der ehemaligen Käserei, wurden in überschaubaren Mengen Pilze gezüchtet und in der Butterei nahm die Großküche Willi Zeitz, von März 1970 bis Februar 1979, ihren Betrieb auf.

Zu Beginn des Jahres 1976 gab die Bad – Godesberger Mineral – und Heilbrunnen  Wietelmann & Co. ihren Betrieb wegen mangelnder Rentabilität auf und vermietete das Anwesen an die Gemeinde Vettweiß, die dort ihren Bauhof unterbrachte.

Am 25.06.1977 konnte die Gemeinde das gesamte Anwesen erwerben. Eigentümer waren jetzt je zur Hälfte die Gemeinde Vettweiß und der Wasserleitungszweckverband der Neffeltalgemeinden.

Nachdem der WZV der Neffeltalgemeinden sein Unternehmen einschließlich der Verwaltung an den Seelenpfad Nr. 1 in Vettweiß verlagert hatte, stand das Molkereigebäude leer. Wie sollte man nun das Gebäude nutzen? Ein den Bürgern der Gemeinde dienender Verwendungszweck wurde nicht gesehen.

Schließlich veräußerte die Gemeinde die Molkerei am 06.06.2000 an die Rompe Design Jobfashion GmbH & Co. KG, die in dem Gebäude hochwertige Berufskleidung produzierte.

Die Firma Rompe konnte im Jahre 2018 die leerstehende Grundschule in Müddersheim erwerben und verlagerte ihr Unternehmen dann auch nach Müddersheim.

Jetzt ergab sich für die Gemeinde Vettweiß die Gelegenheit zum Rückkauf der Molkerei. Dieser wurde dann am 21.01.2019 realisiert.

Damit hat eine lange Odyssee ein gutes Ende gefunden. Was lange währt, wird endlich gut. Die Gemeinde ist jetzt alleiniger Eigentümer eines zentral gelegenen Kulturdenkmals, welches vielfältig genutzt werden kann. So bietet es Platz für den Caritas Pflegeservice, für die Vettweißer Kleiderkiste, für die Jugendarbeit, für das Gemeindearchiv, für den Heimat- und Geschichtsverein sowie für den TC Wyss, um einige zu nennen.